Himmel über dem Kilimandscharo
Tante Fanny entsetzt. » Wollt ihr die Möbel und den Teppich ruinieren? Kommt meinetwegen in die Küche!«
Wenig später erschien auch die Großmutter, die jetzt fast nur noch oben am Lager ihres Mannes saß– Pastor Dirksen hatte vor einigen Tagen das Bewusstsein verloren. Sie machte nicht viele Worte, stand nur eine kurze Weile vor den beiden Frauen, die sich an ihren warmen Herd geflüchtet hatten, und musterte sie mit aufmerksamen Augen.
» Das möge Gott ihm vergeben– ich kann es nicht!«
Gleich darauf wandte sie sich ab, goss dampfenden Kamillentee in einer Kanne auf und ging damit hinaus. Doch bevor sie die Tür hinter sich schloss, gab sie Tante Fanny die energische Anweisung: » Mach die Betten in der Schlafkammer zurecht. Solange ich lebe, wird keines meiner Kinder und Enkel auf der Straße nächtigen müssen.«
Bitter dachte Charlotte daran, dass sie sich noch vor nicht allzu langer Zeit in das Haus der Großeltern zurückgewünscht hatte. Jetzt war sie wieder hier angekommen, aber das Haus hatte nichts Heimeliges, es war eine Zuflucht, und in seinen Mauern herrschte Niedergeschlagenheit. Tante Fanny, die die Schlafkammer für sich allein in Besitz genommen hatte, musste mit der altgewohnten Enge vorliebnehmen, und auch Paul wohnte wieder bei den Großeltern, da das winzige Gehalt, das er bei Gericht bezog, nicht zum Leben reichte. Er musste sich ganz von unten hochdienen, das nicht abgeschlossene Studium war nichts als verlorene Zeit gewesen.
» Natürlich habe ich von dem Konkursverfahren gewusst«, gab er zu. » Aber Christian behauptete immer, alles sei nur ein Missverständnis, die Sache werde bald niedergeschlagen und ich solle euch auf keinen Fall damit beunruhigen.«
» Was wird mit ihm geschehen, wenn er zurückkommt?«, forschte Charlotte mit bangem Herzen.
» Er wäre ein Idiot, wenn er zurück nach Leer käme. Sie können ihn ins Gefängnis stecken. Sogar ins Zuchthaus.«
» Ins… Zuchthaus?«
Paul setzte eine wissende Miene auf– bei seinen Vorgesetzten war er nur ein kleines Licht, hier, zu Hause, konnte er mit seinem Wissen prahlen.
» Klar. Betrügerische Absicht. Unordentlich geführte Bücher. An seiner Stelle würde ich mich entweder aufhängen oder für immer verschwinden. Hat er denn keinen Abschiedsbrief hinterlassen? Selbstmörder tun so was häufig.«
» Mir blieb ja gar keine Zeit, nachzusehen«, murmelte Charlotte beklommen.
Ausgerechnet Ettje, mit der Charlotte früher so manchen Krieg ausgefochten hatte, war der Mensch, der ihr jetzt Trost und Hilfe gab.
» Das hast du nicht verdient, Lotte«, sagte sie und nahm sie in die Arme. » Und auch Klara nicht. Aber wir sind für euch da, das hat Peter auch gesagt. Es wird schon werden.«
Ihre kurzen Besuche, bei denen sie ihre drei Buben mitbrachte, trugen Leben und Fröhlichkeit in das triste Haus. Die beiden Älteren tobten durch Küche und Wohnstube, der Jüngste krabbelte schon, mit verkniffenem Gesichtchen und glänzenden, hellblauen Augen. Ettje war glücklich in ihrer Mutterschaft, und sie gab ihr Glück weiter an alle, die es benötigten. Sie versorgte Charlotte und Klara mit allerlei Kleinigkeiten, die die beiden in ihrer Eile im Ohlsen’schen Haus vergessen hatten– Haarnadeln, Schleifen, Handschuhe und Strumpfbänder–, sie setzte ihrer Mutter den jüngsten Enkel auf den Schoß, tröstete die Großmutter und saß mit ihr bei dem Kranken. Sobald sie mit Charlotte allein war, schmiedete sie Pläne für die Zukunft, so wie sie es auf ihre praktische Art verstand.
» Wenn der Großvater nicht mehr ist, wird es knapp werden mit dem Geld. Peter hat gesagt, dass wir die Mutter zu uns nehmen. Du und Klara– ihr könnt euch dann um die Großmutter kümmern.«
Ettje hatte sich alles schon überlegt. Charlotte konnte Klavierunterricht geben, Klara würde wieder nähen– auf diese Weise konnten sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Und wenn es nicht reichen sollte– Peter verdiente nicht schlecht, und die Schwiegereltern halfen auch mit. Man würde sie nicht verhungern lassen.
» Lass ein wenig Gras über die Sache wachsen, dann wirst du vielleicht wieder heiraten, Charlotte. Du bist hübsch. Auch ohne Mitgift wirst du einen neuen Ehemann finden.«
» Aber ich bin mit Christian verheiratet!«
Ettje seufzte tief und sah sie kopfschüttelnd an.
» Du glaubst doch nicht, dass du ihn je wiedersiehst, oder? Hast du nicht gehört, was Paul gesagt hat? Nach einigen Jahren kannst du ihn für tot erklären
Weitere Kostenlose Bücher