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Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bach
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Wie rasch sich doch die Lücken schließen und die Welt wieder in Ordnung kommt.
    » Ich brauche Ihre Hilfe, liebe Frau Sundermann«, sagte sie. » Sie wissen vielleicht, wie es um meinen Mann steht.«
    Sie war im Bilde, vermutlich hatte sie genau aus diesem Grund gezögert, Charlotte ins Haus zu bitten.
    » Ich komme zu Ihnen, weil ich weiß, dass Sie mich verstehen werden. Ich kann meinen Mann in seiner Not nicht verlassen…«
    » Das verstehe ich. Sie haben ein großes Herz, meine liebe Freundin. Oh, wie gut ich Sie verstehe– auch ich würde so handeln…«
    Sie versprach, sich für Christian einzusetzen. Wem konnte es nutzen, wenn er verurteilt wurde? Niemandem, denn die Schulden würden sich dadurch nicht verringern. Ihr Mann sei ein vernünftig denkender, ein kluger Mensch, er würde das gewiss einsehen.
    Charlotte musste fünf Tassen Tee trinken, zahllose Kekse herunterwürgen und anschließend noch versprechen, den beiden Töchtern Sundermann Klavierstunden zu geben. Frau Sundermann hielt das für eine gute Tat; in ihrer jetzigen Lage könne Charlotte doch jeden Pfennig gebrauchen, und der Musiklehrer wäre in seinen Forderungen recht unverschämt.
    Als Charlotte endlich den Heimweg antreten konnte, musste sie tief Luft holen. Sie hatte das Gefühl gehabt, unter Frau Sundermanns Güte zu ersticken. Der Regen hatte aufgehört, nur der eisige Nordwind blies ihr unbarmherzig entgegen, und der Novemberhimmel lastete schwer und dunkel auf der Stadt. In den Pfützen trieben die letzten, braunen Herbstblätter, sogen sich voller Nässe und sanken dann langsam hinab, um sich mit dem Morast zu vereinigen. Pferdefuhrwerke überholten sie und bespritzten ihren Umhang, hin und wieder sah sie ein bekanntes Gesicht unter den entgegenkommenden Menschen, doch nur wenige grüßten sie. Die meisten wandten die Köpfe rasch zur Seite, betrachteten angestrengt die Auslagen eines Ladens, einen Hauseingang, den Grünkohl in einem Garten.
    Fröstelnd zog Charlotte den Umhang zusammen und beeilte sich, die belebten Straßen so bald wie möglich hinter sich zu lassen. Wie sie diese Stadt hasste. Sie war grau und eng, voller selbstgerechter Menschen, ohne Sonne, ohne Wärme. Wie hatte sie es hier nur so lange ausgehalten?
    Als sie im Haus der Großeltern eintraf, lag ein Brief für sie auf dem Küchentisch. George hatte ihr schon vor Wochen geschrieben, doch die Post hatte seit der Konkurseröffnung alle Schreiben einbehalten und an Sundermann ausgeliefert. Niemand hatte respektiert, dass Charlottes Name auf der Adresse stand, man hatte das Schreiben geöffnet und gelesen, schließlich hätte es sich um ein Geschäft handeln können, das Ohlsen listig über seine Frau abwickelte.
    Ohne einen Blick hineinzuwerfen, legte Charlotte den Brief zur Seite. Sie wollte nicht wissen, was darin stand, die Zeit der schönen Träume war vorüber. Vielleicht würde sie George später schreiben, viel später, wenn sie entschieden hatte, wie sie weiterleben wollte. Jetzt konnte sie nur abwarten.
    Am Abend kniete sie in der Schlafkammer und zog die kleine Kiste unter dem Bett hervor, die alle ihre Schätze barg. Wie viel mochte der Schmuck wohl wert sein? Sie hatte keine Ahnung. Christian hatte stets einen ausgefallenen Geschmack besessen, mit billigen Dingen hatte er sich nie abgegeben. Aber sie wusste auch, dass man für ein Schmuckstück nur einen kleinen Teil seines wirklichen Wertes erhielt, wenn man es weiterverkaufte. Sie würde feilschen und handeln– das fiel ihr nicht schwer, das lag ihr im Blut.
    Der Lampenschein ließ das Glas auf dem Deckel spiegeln, so dass sie die Kiste anheben musste, um die bunte Zeichnung zu betrachten, die sie schon als Kind so fasziniert hatte. Einsam erhoben sich die Gipfel des Kilimandscharo in den Himmel, zogen den Betrachter zu sich heran, lockten ihn, sich mit ihrer Kraft und Ferne zu messen, das Unmögliche zu wagen, das Unbezwingbare herauszufordern. Sie erschauderte und glaubte, die Kühle der Gipfel zu spüren, den Wind zu atmen, der sie von dorther anwehte und der den Geruch der Freiheit in sich trug. Als sie den Deckel aufklappte, grinste ihr der schwarze Götze entgegen. Wie seltsam– ihr war niemals aufgefallen, dass er einen heiteren, fast verschmitzten Gesichtsausdruck hatte. Oder kam ihr das heute nur so vor? Sie strich mit dem Finger über sein krauses Haar, die stumpfe Nase, die breiten, wulstigen Lippen. Das schwarze Holz fühlte sich warm an, als sei all die Sonnenglut darin gespeichert,

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