Himmel über dem Kilimandscharo
sehr leise.
» Das ist unmöglich, Charlotte.«
Er tat ihr leid in seiner Verzweiflung, doch sie brachte es nicht fertig, seine Schulter zu streicheln. Er war ihr Ehemann, sie hatte gelobt, an seiner Seite zu bleiben, und dieses Gelöbnis würde sie halten. Respekt oder Achtung empfand sie nicht mehr vor ihm– er war ein hilfloses Kind, für das sie sorgen musste, sie durfte ihn nicht untergehen lassen in seinem Unglück.
» Hör zu«, sagte sie und setzte sich auf die Sesselkante. » Ich habe mit Onkel Gerhard gesprochen, er wird mir schreiben, wann ein Reichspostdampfer Ende Februar oder Anfang März in Hamburg ablegt. Bis dahin werden wir unser Vorhaben keinem Menschen anvertrauen. Du weißt, aus welchem Grund.«
Er drehte sich auf den Rücken und starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an, als wäre sie verrückt geworden. Wie fremd er ihr erschien mit dem zerrauften Haar und dem ungepflegten Vollbart, den er aus Nachlässigkeit hatte wachsen lassen.
» Was hast du dir da nur ausgedacht, Charlotte? Sie werden mich festnehmen, wenn ich versuche, das Land zu verlassen.«
» Es wird niemand bemerken. Wir steigen am frühen Morgen in den Zug nach Emden, von dort aus geht es per Schiff nach Hamburg. Natürlich können wir nur wenig Gepäck mitnehmen…«
Sie würde ihr Klavier zurücklassen müssen. Das Klavier ihrer Mutter, das sie all die Jahre begleitet hatte, das ihr so viele glückliche Augenblicke geschenkt hatte. Und doch war auch ihre geliebte Musik nur eine Betäubung gewesen, die sie daran gehindert hatte, das Leben, das wirkliche Leben mit beiden Händen anzupacken.
Der entschlossene Ausdruck in ihren Zügen tat seine Wirkung. Christian richtete sich zum Sitzen auf, sein Blick war jetzt unruhig, als schwanke er zwischen Hoffnung und Resignation.
» Mit dem Reichspostdampfer? Woher willst du das Geld für die Überfahrt nehmen? Wohin willst du überhaupt?«
» Nach Afrika.«
» Nach Afrika?«, wiederholte er ungläubig. » Doch nicht etwa nach Ägypten, wo deine Cousine lebt?«
» O nein!«
Sosehr sie sich danach gesehnt hatte, George nahe zu sein– dieser Traum war für immer ausgeträumt. Sie war mittellos, hatte für ihre behinderte Cousine Klara und den hilflosen Christian zu sorgen– in Ägypten würde sie auf Georges Hilfe angewiesen sein. Dazu war sie zu stolz.
» Ich will nach Sansibar. Vielleicht auch nach Daressalam.«
» In die neue Kolonie? Nach Deutsch-Ostafrika? Und was sollen wir dort tun? Ohne einen Pfennig Geld?«
» Das Gleiche, was wir hier im Reich tun würden. Nur wird es einfacher sein. Ich will einen Laden aufmachen und handeln.«
Er kicherte. Es sah merkwürdig aus, kein Laut kam dabei über seine Lippen, nur seine Brust und die Schultern zuckten.
» Du?«
Aus Mitleid verkniff sie sich die boshaften Worte, die ihr auf der Zunge lagen.
» Ja ich. Und ich bin mir sicher, dass es mir gelingen wird.«
Sie war sich keineswegs sicher, aber sie würde alles versuchen, um dieses Ziel zu erreichen. Immerhin machte die Festigkeit, mit der sie diesen Satz sprach, großen Eindruck auf Christian. Er fuhr sich mit beiden Händen durch das gesträubte Kopfhaar und schien sich nun langsam für ihren Plan zu erwärmen.
» Wenn, dann werden wir beide das tun, Charlotte. Ich kenne mich aus, und du weißt nicht einmal, wie man ein Handelsbuch führt…«
Sie schwieg auch jetzt. Wichtig war, dass er endlich wieder Mut fasste und zu Kräften kam. Was später würde, stand in den Sternen. In den hellen, glänzenden Gestirnen des afrikanischen Nachthimmels.
» Zu niemandem ein Wort, Christian«, ermahnte sie ihn. » Weder die Großmutter noch Tante Fanny, noch sonst irgendjemand aus der Verwandtschaft dürfen davon erfahren. Nur Klara weiß Bescheid und Onkel Gerhard, doch der hat versprochen zu schweigen.«
» Es ist eine verrückte Idee, Charlotte…«
» Es ist die einzige Möglichkeit!«
Er versprach ihr, Stillschweigen zu bewahren, zunächst noch ein wenig halbherzig, doch mehr und mehr für diesen Plan entflammt. Am folgenden Morgen fand er sich ordentlich gekleidet und rasiert in der Küche ein, um zu frühstücken, den Tag über lauerte er auf eine Gelegenheit, mit Charlotte allein zu bleiben, um ihr Fragen zu stellen. Weshalb gerade Ostafrika? Weshalb nicht Amerika? Dort sei das Klima angenehm, es würde Land an die Aussiedler verteilt, man könne sogar Gold finden… Ob sie nicht von dem Buschuri-Aufstand in der Zeitung gelesen habe? Die Araber hätten sich an der
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