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Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bach
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die es hatte wachsen lassen. Ihr Vater hatte ihn auf Sansibar erworben, jener geheimnisvollen Insel nahe der afrikanischen Küste, die man seit Jahrhunderten auch die Gewürzinsel nannte. Afrika, das Land der Wärme, der Düfte, des Lichts.

Drei Wochen später wurde Christian Ohlsen aus dem Arrest entlassen. Man hatte Milde vor Recht ergehen lassen, eine Anzeige war auf Fürsprache der lutherischen Gemeinde zurückgezogen worden. Andere Geschädigte dachten praktisch: Aus einem Zuchthäusler war unter keinen Umständen mehr Geld herauszuholen.
    Christians Zustand war besorgniserregend. Er sprach nicht, aß kaum, saß stundenlang zusammengesunken in der Küche auf einem Stuhl und starrte auf den gefliesten Boden. Wenn man ihm Fragen stellte, hob er den Kopf, als erwache er aus einer tiefen Trance, und auf eine Antwort musste man lange warten.
    » Er hat das alles wohl erst jetzt begriffen«, sagte Klara leise zu Charlotte, als sie am Abend in den Betten lagen. » Wir können nur hoffen, dass er nicht ernstlich krank wird.«
    Die Versteigerung hatte nur einen Teil der Schulden gedeckt, den Rest würde Christian abbezahlen müssen. Was immer er tat, wo immer er Geld verdiente, es würde ihm nur ein kleiner Teil davon bleiben, alles andere wanderte zu seinen Gläubigern. Und da die Summe erheblich war, konnte er darauf rechnen, bis zu seinem Lebensende auf keinen grünen Zweig mehr zu kommen.
    Der Tod des Großvaters kurz vor Weihnachten kam nicht unerwartet und war trotz allen Kummers doch eine Erlösung, nicht nur für ihn selbst, sondern auch für die Großmutter, die seit Wochen kaum von seinem Krankenlager gewichen war. Noch einmal erlebte Charlotte das Zusammentreffen der umfangreichen Familie, dieses Mal zu einem traurigen Anlass, der dennoch gebührend mit Kaffeetrinken und Kuchenessen im Haus der Großmutter begangen werden musste. George und Marie waren nicht angereist, worüber Charlotte recht erleichtert war. Menna war inzwischen verheiratet und hochschwanger, ihr Bruder Henrich hoffnungsvoller und braver Student der Theologie, Pastor Harm Kramer hatte die Stellung des Superintendenten eingenommen, und seine Tischpredigt fiel daher noch ein wenig länger und frömmer aus. Es war das letzte Familientreffen, bei dem sie zugegen sein würde, das hatte Charlotte längst bei sich beschlossen, und sie nahm alle Eindrücke tief in sich auf, um sie für sich zu bewahren: die Grablegung auf dem eisigen Friedhof unter dem bleigrauen Himmel, das muntere Geschwätz in der geheizten Stube, Tante Fannys Gejammer, die unbeschwerte Fröhlichkeit von Ettjes kleinen Söhnen, der tiefe, schweigsame Kummer der Großmutter.
    Zum ersten Mal in ihrem Leben würde sie ihre Zukunft in die eigenen Hände nehmen. Und nicht nur ihre eigene, auch das Glück zweier weiterer Menschen hing von dem Gelingen ihrer Pläne ab. Sie zitterte vor diesem Unternehmen, und zugleich berauschte sie sich daran. Der Weg in jene Traumlandschaften, die ihr immer vor Augen geschwebt hatten, lag offen vor ihr. George hatte recht, man konnte Träume leben. Doch es gehörte eine Menge Geschick und Klugheit dazu, das Tor zur Freiheit unbeschadet zu durchschreiten.
    Spät am Abend, als die Gäste das Haus verlassen hatten und die Küchenarbeit erledigt war, ging sie hinüber in die Stube, wo Christian auf dem Sofa schlief. Er hatte sich den Tag über verborgen gehalten, war nicht mit zum Friedhof gegangen; während des Kaffeetrinkens hatte er sich in der Schlafkammer versteckt. Sie hatte ihn in Ruhe gelassen, ihr war klar, dass er sich vor der Familie schämte.
    » Christian?«
    Er lag zusammengekauert mit dem Gesicht zur Rücklehne; als sie ihn sanft an der Schulter rüttelte, machte er keine Bewegung. Doch sie wusste, dass er nicht schlief.
    » Wir müssen reden, Christian.«
    Sie spürte, wie sein Körper sich versteifte. Vermutlich dachte er an die zornige Auseinandersetzung vor vier Wochen, kurz bevor man ihn abgeführt hatte. O ja, er war ein Feigling. Er fürchtete nichts mehr, als ihr sein Versagen und seine Hoffnungslosigkeit eingestehen zu müssen.
    » Wir werden auswandern«, sagte sie kurz und knapp. » Du, ich und Klara.«
    Er tat einen langen Atemzug, ob aus Erleichterung oder aus Widerwillen war nicht auszumachen. Weiter gab er kein Lebenszeichen von sich.
    » Hast du gehört, Christian? In zwei Monaten reisen wir ab, ich habe alles genau geplant.«
    Jetzt endlich rang er sich dazu durch, ihr eine Antwort zu geben. Seine Stimme war heiser und

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