Himmel über dem Kilimandscharo
spüren, wie der Wind an ihrer Kleidung riss, und den Atem des Meeres in sich aufzunehmen, der ihr so seltsam vertraut war.
» Heute haben wir’s gemütlich«, sagte eine Männerstimme neben ihr. » Nicht so wie letzte Woche, als der Sturm Sie fast weggepustet hat, junge Frau!«
Es war einer der Heizer, ein kräftiger, junger Bursche aus Bremen, der ebenso wie seine Kameraden hin und wieder auf dem Vorderdeck auftauchte, um sich von der schweißtreibenden Arbeit zu erholen. Er hatte zugesehen, wie die Matrosen Charlotte während eines Sturms im Atlantik energisch unter Deck schicken mussten, hatte sie doch ernsthaft vorgehabt, sich an die Reling zu klammern und das grandiose Naturschauspiel dort draußen zu beobachten.
» Der hätte mich ganz sicher nicht weggepustet«, versetzte sie schmunzelnd. » Ich habe gute Seebeine.«
» Auf jeden Fall war’s besser so!«, versetzte der Heizer gleichmütig. » Die Brecher schlugen verdammt hoch.«
Sie hatte keine Angst. Auch wenn das Meer stürmisch war und seine grauen Wogen das Schiff auf- und niederwarfen, hatte sie keine Sekunde gefürchtet, das nasse Element könne sie verschlingen. Stattdessen hatte sie fasziniert das zornige Pulsieren der Tiefe gespürt, das die Wogen emporwachsen ließ und sie über den Ozean jagte, und sie hatte begriffen, dass dort unten auf dem Grund des Wassers das Herz des Meeres schlug.
» Wo sind wir jetzt?«
Er hatte die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen und schützte sie jetzt zusätzlich mit der Hand, während er nach Süden spähte. Gestern hatten sie die Straße von Gibraltar passiert und Tarifa gesehen mit der vorgelagerten Insel Las Palomas– helles Felsgestein, die Umrisse des weißen Leuchtturms von kobaltblauem Wasser umgeben. Dann hatte die Abendsonne alles rötlich gefärbt, und das Land in der Ferne schien zu brennen. Von der afrikanischen Küste, nach der sie sich voller Sehnsucht die Augen ausschaute, war nur ein dunkler, unregelmäßiger Streif zu erkennen gewesen, von Nebeln halb verborgen, die später zu rostrotem Dunst wurden.
» Da drüben liegt Marokko«, murmelte der Mann. » Ist zu weit weg, um es sehen zu können. Die nächsten Tage sind wir auf offener See, da stoßen wir höchstens auf ein paar Inseln. Aber in Neapel liegen wir ein paar Tage fest, laden Kohle und Proviant und nehmen auch die Post an Bord. Dort sollten Sie an Land gehen und sich umschauen.«
Neapel! Sie hatte so viel darüber gelesen, über die fruchtbaren Hänge, auf denen Oliven und Weinstöcke wuchsen, den grandiosen, feuerspeienden Vesuv, das stahlblaue Meer, das in den Buchten weiße Felsen umspülte. Vielleicht würden sie einen kleinen Rundgang am Hafen machen, mehr konnte Klara nicht schaffen. Um einen Wagen zu mieten und Stadt und Umgebung zu erkunden, brauchte man Geld.
» Nun sehen Sie sich den Burschen an! Er folgt uns schon seit Tagen, hat wohl einen Narren an uns gefressen!«
Blinzelnd schaute sie in Richtung seines ausgestreckten Arms nach oben, wo man die großen Hebekräne des Schiffes sah, vom Rauch des Schornsteins umweht. Hoch über ihnen am blauen Himmel sah man den Umriss eines großen Seevogels, der mit ausgebreiteten Schwingen scheinbar reglos über ihnen stand. In Landnähe hatten sich hin und wieder ein paar Möwen zu ihm gesellt– lästige Gesellen, die ihn feindselig umkreisten, seinen ruhigen Flug stören wollten. Doch er hatte die frechen Plagegeister ignoriert und seinen Weg unbeirrt fortgesetzt, als gäbe es zwischen ihm, dem freien Herrn der Lüfte, und dem rauchenden, stampfenden Schiff tief unter ihm eine geheime Verbindung.
» Na, dann will ich mal wieder«, sagte der Heizer und ließ die Reling los. » Passen Sie auf, dass Sie nicht über Bord fallen, junge Frau. Wäre schade um Sie.«
Sie lachte und band sich das Tuch fester, mit dem sie ihr Haar vor dem Wind schützte.
» Alles Gute. Sorgen Sie dafür, dass wir vorankommen.«
» Das tun wir wohl!«
Er bewegte sich breitbeinig über das Deck, wo einige Passagiere der dritten Klasse auf den Schiffsplanken saßen, um sich zu sonnen. Unten im Heizraum musste es die pure Hölle sein, das hatte er so zwar nicht gesagt, aber Charlotte hatte es seinen wenigen Andeutungen entnommen. Pausenlos wurde das rot glühende Drachenmaul der Maschine gefüttert, die Männer arbeiteten in Schichten, schaufelten die Kohle in stickiger Luft und brennender Hitze bis zur Erschöpfung.
Sie hatte das ständige Schlagen und Stampfen der Maschine, das selbst
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