Himmel ueber fremdem Land
verstehe das nicht«, rief Demy und ergriff die geschäftig an ihr vorbeihastende ältere Schwester an der Hand.
»Du verstehst vieles noch nicht, das dir später einmal als völlig normal erscheinen wird.«
»Weshalb verreist du schon wieder?«
»Das sagte ich dir doch. Ich brauche Abstand.«
»Wovon?«
Tilla warf ihr einen tadelnden Blick zu, besann sich dann aber und hakte sich bei Demy unter, um sie hinaus auf die Treppe zu führen. Nebeneinander stiegen sie diese hinab; die eine in einem aufwendigen Reisekleid und die andere im einfachen Hauskleid und, was jedoch niemand bemerkte, ohne Schuhe an den Füßen.
Arm in Arm verließen sie den gepflasterten Weg und spazierten über die Wiese, ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen.
»Gestern habe ich erneut mit Joseph gesprochen. Da er weiterhin darauf beharrt, dieses Flittchen zu treffen, habe ich ihn gebeten, sich wenigstens an einige Regeln zu halten. Er versprach mir, sie einzuhalten. Das ist momentan alles, was ich erreichen kann. Aber ich möchte Joseph gleich zu Beginn dieser unrühmlichen Abmachung wenigstens klarmachen, wie wenig ich unter diesen Umständen gewillt bin, ihm als braves Frauchen zur Verfügung zu stehen, wenn es in seinen Zeitplan und in seine Geschäftsverpflichtungen passt. Deshalb habe ich durchgesetzt, dass ich in Koudekerke vorbeischaue und später meine Freundin in Paris besuche.« Tilla lächelte vor sich hin. »Ihm blieb nichts anderes übrig, als meine Bedingungen anzunehmen. Nun muss er ein paar seiner Geschäftsessen und Partys ohne die Vorzeigeehefrau absolvieren.« Nach diesen Worten warf Tilla ihrer jüngeren Schwester einen Blick zu, in dem neben der allgegenwärtigen Traurigkeit auch Stolz über ihren Triumph lag.
Demy gefiel die kämpferische Haltung bei ihrer sonst so steifen, auf den äußeren Anschein bedachten Schwester, doch sie schwieg dazu.
»Es ist eine von unseren Vätern arrangierte Ehe, der ich zugestimmt habe. So, wie sie jetzt verläuft, hatte ich sie mir nicht vorgestellt, aber ich werde das Beste herausholen, so wie Joseph das auch tut. Ich verfüge über genug Geld für schöne Reisen, ich verkehre unter den reichen und angesehenen Familien Preußens, ja des ganzen Landes, das einen hervorgehobenen Platz in der Weltpolitik innehat. Ich besitze schöne Kleider der neuesten Mode, dazu edlen Schmuck, und wenn ich Lust dazu habe, kann ich Partys geben und so viel tanzen, wie es mir gefällt. Wenn das kein Glück ist!«
Obgleich Demy dieser Tand nichts bedeutete, verstand sie, dass ihre Schwester, geprägt durch ihre Erziehung und vermutlich auch von ihrem Vater, der noch immer seinem verlorenen Einfluss und Vermögen nachtrauerte, darin tatsächlich eine Erfüllung sah. Demy jedoch trieb eine ganz andere Frage um:
»Warum darf ich nicht mit dir kommen? Ich kenne deine französische Freundin ebenfalls, und ich würde gern nach Hause fahren und Papa, Rika und Feddo wiedersehen, vielleicht auch meine früheren Schulkameraden.«
Ihre Schwester blieb stehen, löste den Arm aus ihrem und stellte sich vor sie. Tillas Gesicht wurde von ihrer Hutkrempe beschattet und sah noch immer erschreckend bleich aus. »Ich möchte dich hier in Berlin lassen, damit du deine Ausbildung bei Frau Cronberg ordentlich beendest. Erst vor zwei Tagen habe ich mich mit ihr unterhalten. Sie ist voll des Lobes über deine schnelle Auffassungsgabe und deinen Lernwillen, sieht aber noch erhebliche Defizite, was die Fremdsprachen, deine Haltung und deine Manieren betrifft. Mit den Tanzstunden ist noch gar nicht begonnen worden.«
»Tanzen? Du wirst auf den Bällen tanzen, ich stehe an der Seite und warte, bis du mich brauchst. Ich möchte nicht tanzen lernen. Viel lieber wäre es mir, ich könnte endlich einmal meine Reitausrüstung benutzen. Die Letzte musste ich aussortieren, da ich ihr entwachsen war, ohne dass ich auch nur ein Pferd zu Gesicht bekommen hätte.«
Zu Demys Verwunderung lachte ihre Schwester hell auf und schloss sie in ihre Arme. »Du bist einfach einzigartig, meine Kleine. Und manchmal vergesse ich wirklich, wie jung du noch bist. Ich lasse also Frau Cronberg mitteilen, sie solle neben dem Tanzlehrer dringend auch einen Reitlehrer für dich suchen, einverstanden?«
»Das wäre schön. Aber muss das mit dem Tanzen sein?«
Tilla sah sie nur durchdringend an. »Josephs Vater hat mit meinem Gatten und mir erneut über dich gesprochen …«
Während Tillas Zögern schoss Demy der Gedanke durch den Kopf, sie würde
Weitere Kostenlose Bücher