Himmel ueber fremdem Land
mitansehen, wie er mit anderen Frauen anbändelte. Mehrmals, in verschiedenen Landstrichen. Aus St. Petersburg mussten wir sogar überstürzt fliehen, da ein tobender Ehemann hinter ihm her war.«
»Aber weshalb tut er das?«
»Was fragst du das mich?«, fuhr ihre Schwester sie ungehalten an, erhob sich und verschwand im angrenzenden Zimmer. Die Tür zwischen ihnen donnerte laut ins Schloss.
Lange Zeit verharrte Demy vor der Chaiselongue, während sie hinüber zu den im Wind spielenden Gardinen blickte. Tilla hatte mit ihrem Ausbruch durchaus recht. Nach den Gründen für Josephs erniedrigendes Verhalten sollte wohl vielmehr er befragt werden. Aber das würde Demy niemals wagen.
Tilla und Joseph. Edith und Hannes. Vielleicht hatte Hannes den besseren Weg gewählt, indem er aus dem ihm vorgegebenen Rahmen ausbrach und die Frau heiraten wollte, die er liebte und die ihn ebenfalls liebte.
Demy drehte den Kopf und verbarg ihr Gesicht in ihren Armen. Sie hoffte und betete, in ein paar Jahren eine innige und von unschönen Turbulenzen verschonte Verbindung mit einem treuen Mann erleben zu können, der sie von ganzem Herzen liebte.
***
Nach dem Gewittersturm des Vorabends präsentierte sich der folgende Abend in herrlich warmer Sommerpracht. Die Bäume um die Statuen, die Kaiser Wilhelm den Bürgern Berlins gestiftet hatte – wenngleich sehr wohl auch Steuergelder in die Herstellung und Aufstellung der Marmorskulpturen geflossen waren –, warfen mit ihrem frisch geputzten Blätterdach großzügige Schatten auf die Siegesallee, wie die »Puppenallee« offiziell hieß. Vögel zwitscherten im Geäst muntere Lieder, und über den blühenden Blumenrabatten flatterten Schmetterlinge. Eine Baumreihe trennte den Flanierweg für Fußgänger, auf dem eine erkleckliche Anzahl Männer, Frauen und Kinder spazierten, von der mit Automobilen befahrbaren Straße.
Demy zog den breiten schwarzen Gürtel um ihre schlanke Taille zurecht und krempelte, Henriettes Anweisungen bewusst ignorierend, die Ärmel ihrer weißen Bluse nach oben. Ihr war schlichtweg zu warm. Kaum ein Lüftchen regte sich, und die stehende Hitze hielt die Abgase der Fahrzeuge unangenehm in der Luft fest.
Seit Demy an der in den blauen Himmel hinaufragenden Siegessäule 40 auf Edith getroffen war, schlenderten die beiden schweigend nebeneinander her, passierten eine der sorgsam gestutzten Hecken nach der nächsten, zwischen denen sich die ehemaligen Hohenzollern und andere Wegbereiter des jetzigen Kaiserreiches mit ihren beigestellten Nebenfiguren befanden.
Demy wich zum wiederholten Male einem offenen Sonnenschirm einer Dame aus, deren Begleiter – auf das Geschehen aufmerksam geworden – seinen Zylinder zog und sich entschuldigend in ihre Richtung verbeugte.
Es verging einige Zeit, bis Demy endgültig genug hatte von ihrer schweigsamen Begleiterin, dem übervollen Spazierweg und ihrer inneren Unruhe wegen der ungewöhnlichen Situation. Sie ergriff die erschrocken zusammenzuckende Edith am Unterarm und zog sie die drei Stufen hinauf, vorbei an dem in der Sonne gleißenden Standbild Friedrichs I. Dort setzte sie sich auf den rechten Teil der im Halbkreis um die Statue verlaufenden Steinbank. Diese von den Sonnenstrahlen angewärmte Sitzgelegenheit war, wie auch die anderen 32 Carrara-Marmor-Skulpturgruppen, durch zwei weitere männliche Statuen unterbrochen. Demy hatte keine Ahnung, wer diese beiden für Friedrich I. wohl sehr wichtigen Zeitgenossen waren. Sie rückte ein Stück zur Seite, damit auch Edith im Schatten der hinter der Steinmauer wachsenden Bäume sitzen konnte, und wandte sich ihr zu.
»Hannes bat mich um dieses Treffen mit Ihnen, Fräulein Müller – und Sie, so vermute ich, wollten es ebenso. Also nutzen wir doch unsere Zeit für ein klärendes Gespräch.«
»Mir ist das Ganze reichlich unangenehm. Und ich entschuldige mich für die Umstände.« Edith sah sie zurückhaltend an. »Hätte ich gewusst, wer Hannes wirklich ist, hätte ich gleich damals keinem neuerlichen Treffen mit ihm zugestimmt.«
»Und wären damit zwar ein paar Schwierigkeiten aus dem Weg gegangen, aber auch dem Menschen, der Sie aufrichtig liebt!«
Die Frau neben ihr seufzte laut auf. Ihre deutlich zur Schau getragene Unsicherheit verlieh Demy wiederum Mut. »Hören Sie, Fräulein Müller: Ich habe dieser Verlobung nur zugestimmt, weil Hannes mich darum bat. Und dies tat er einzig aus dem Grund, weil sein Vater dadurch vorerst Ruhe gab und Hannes mehr Zeit hat, um
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