Himmel ueber fremdem Land
brauchte.
Hintereinander zwängten sich die Kinder durch den dunklen, mit Kisten und allerlei Unrat vollgestellten Flur. Dröhnendes Hämmern hallte von den Wänden wider. Aufgrund der Lärmkulisse vermutete Demy hinter einer der abgehenden Türen eine Werkstatt. Doch wieso mussten die Kinder leise sein, wenn in diesem Haus ohnehin ein schrecklicher Lärm herrschte? Denn zusätzlich zu den Werkstattgeräuschen drang aus einem hölzernen, im Dunkeln liegenden Treppenaufgang das lautstarke Streiten zweier Frauen, zudem weinte irgendwo ein Kind.
Gerade als Willi eine unscheinbare Wohnungstür öffnete, sprang direkt hinter Demy eine zweite Tür auf. Der Duft eines blumigen Parfums hüllte sie ein und ließ sie den Kopf drehen. Vor ihr stand eine schlanke Frau, deren ebenmäßige Gesichtszüge selbst in dem diffusen Licht, das aus der Wohnung der Schefflers auf sie fiel, nur als klassisch schön bezeichnet werden konnten.
Sie trug ein für diese Gegend viel zu exquisites Kleid aus eng anliegendem Chiffon, dessen Ausschnitt einen äußerst großzügigen Einblick in ihr Dekolleté gewährte. Der breite, vorn spitz zulaufende Gürtel betonte ihre Wespentaille, und auf ihrem aufgesteckten blonden Haar thronte ein keck schief sitzender Hut mit dekorativen Blüten. Mit einem Blick bemerkte Demy, dass die Frau in diesem Hinterhaus vollständig fehl am Platze war.
»Liesl, du hast eine Dame mitgebracht?« Selbst die Sprache der Frau klang vornehm, deutlich akzentuiert, wenngleich sie einen leichten, sympathisch klingenden bayrischen Akzent nicht gänzlich zu unterdrücken vermochte. Die Anmut, mit der sie den Arm hob und prüfend über Demys Schulter strich, wohl um die Qualität des Mantels und des darunter hervorschauenden Kleides zu testen, erinnerte sie an Tilla: grazil und sich ihres gehobenen Standes durchaus bewusst.
Demy rümpfte verwirrt die Nase; die Stimme und der schwere Duft des Parfums erschienen ihr seltsam vertraut. Sie wagte einen zweiten Blick in das Gesicht der Dame und erkannte in ihr Julia Romeike, Walther Rathenaus Begleitung vom Vortag. Noch ehe sie ihre Verwunderung zum Ausdruck bringen konnte, ergriff Lieselotte sie an der Hand und zog sie hinter sich her in einen düsteren, beengten Wohnraum.
»Komm jetzt«, zischte sie Demy zu. Dieser gelang es nicht, den Blick von dem schönen lächelnden Gesicht der Dame abzuwenden, stolperte über die Schwelle und wäre beinahe gefallen, hätte Lieselotte sie nicht gestützt. Peter knallte hinter ihr die Tür zu und atmete laut auf.
»Mama hat uns den Umgang mit der Frau verboten«, erklärte Willi das verwirrende Verhalten der Scheffler-Kinder.
»Aber weshalb denn?«
»Das willst du gar nicht wissen«, erwiderte Lieselotte. Zum ersten Mal hörte Demy diese kleine Spur Überlegenheit in ihrer Stimme, vermutlich, weil sich Lieselotte ihres Altersunterschieds sehr wohl bewusst war.
Demy schluckte schwer. In den letzten Tagen war sie gezwungen gewesen, sich wie eine Erwachsene zu verhalten. Diese Gratwanderung – immerhin war sie nun mal noch ein Kind – setzte ihr zu, weshalb sie Zorn in sich aufkeimen spürte. Die Frage, weshalb Tilla so vehement darauf bestanden hatte, sie mit nach Berlin zu nehmen, brach erneut auf, verbunden mit einem bitteren Heimwehgefühl.
Energisch drängte sie das Chaos in ihrem Inneren beiseite und sah sich um. Sie hielt sich in einer gleichzeitig als Wohnraum dienenden, primitiv eingerichteten Küche auf. Hinter dem stabilen Esstisch war ein Sofa in die Ecke gezwängt, das bereits bessere Tage gesehen hatte, darunter ragte Bettzeug hervor. Ob eines der Kinder hier schlief?
Der Ofen war ein monströses, einfaches Modell; schmutziges Geschirr stapelte sich auf einer Ablagefläche und neben der Kochstelle lehnte eine fleckige, feucht wirkende Matratze an der kahlen Wand. Wahrscheinlich diente sie als zusätzlicher Schlafplatz in der beengten Küche.
Kritisch betrachtete Demy einen ausgefransten Vorhang, der ihr den Blick in den einzigen weiteren Raum der Wohnung versperrte. Befand sich dort das Schlafzimmer der Eltern, in deren Bett – eine andere Möglichkeit bot die Wohnung nicht –, nun dieser Anton schlief? Nun erst verstand Demy, dass die Unterbringung des »Schlafburschen« nicht etwa der Gastfreundschaft der Familie entstammte, sondern wohl Platz- und Geldmangel geschuldet war.
Schutzsuchend zog sie den Mantel vor ihrem Körper zusammen. Das Dämmerlicht, die zuckende Flamme der verrußten Lampe und die im
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