Himmel ueber fremdem Land
nicht kannte, auch an ihrer noch akkuraten Haltung, der vollständigen Uniform und dem Schweiß erkennen konnte, der über ihre von der für afrikanische Verhältnisse eigentlich milden Sonne verbrannten Gesichter rann.
»Was willst du?«, bellte der eine Gefreite sie an und stellte sich ihr in den Weg, das Gewehr fest in der Hand.
Udako strich sich ihren nach europäischem Vorbild geschneiderten Rock glatt und straffte die Schultern. Die Deutschen legten viel Wert auf Äußerlichkeiten und Korrektheit, das wusste sie. Allerdings missfiel es ihr, sich von einem Neuankömmling anschnauzen zu lassen. Sie hatte ihre Marke 11 und ihre Arbeitskarte und damit die Berechtigung, außerhalb des Konzentrationslagers leben zu dürfen. Zudem stand sie unter dem Schutz der Rheinischen Missionsgesellschaft.
»Ich bin berechtigt, im Lager nach Waisen Ausschau zu halten, Herr Soldat«, erwiderte sie in freundlichem Tonfall und in ihrem guten, wenn auch nicht akzentfreien Deutsch.
»Um hier hereinzudürfen, und vor allem auch wieder hinaus, brauchst du ein Berechtigungsschreiben«, mischte sich der zweite Wachhabende ein und musterte sie mit nicht zu übersehendem Interesse.
Udako senkte den Kopf. Philippe Meindorff hatte ihr oft genug gesagt, dass sie eine Schönheit sei. In dieser frauenarmen Gegend zog sie Männerblicke an wie das Licht die Moskitos.
»Ich habe eine Bescheinigung von Oberstleutnant von Estorff.« Udako faltete das Papier auseinander und reichte es dem vor ihr stehenden Soldaten der Deutschen Schutztruppe. Sie wartete, bis dieser das Dokument im Beisein seines Kollegen gelesen hatte. Von Estorff hatte es persönlich unterzeichnet, mit der Bitte an sie, sich möglichst täglich nach den Kindern im Lager umzusehen.
Er war es auch gewesen, der die schrecklichen Umstände und die dramatische Lage der Gefangenen nach Deutschland gemeldet hatte, nachdem seine erste Amtshandlung – als er 1907 Deimlings Nachfolger geworden war – ihn in das Konzentrationslager auf der Haifischinsel führte. Noch am selben Tag war sein Telegramm über die unhaltbaren Zustände beim Oberkommando der Schutztruppen in Berlin eingetroffen.
Berlin reagierte schockiert auf die Kurzmitteilung, die von Tod, Krankheit und Verderben sprach. Der Leiter der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, Bernhard Dernburg, bekam erst durch dieses ehrliche, ungeschminkte Telegramm Kenntnis von den tatsächlichen Zuständen auf der Haifischinsel. Er forderte nicht nur einen detaillierten Bericht an, sondern stimmte auch den von von Estorff unverzüglich in die Wege geleiteten Maßnahmen zu, wie die Verlegung wenigstens der Frauen und Kinder in ein anderes, humaner geführtes Lager.
Diesem Akt der Menschlichkeit verdankte auch Udako ihr Leben. Sie war eine der 573 Überlebenden von 1795 Gefangenen, die von der Insel ins Landesinnere verlegt wurden, wobei selbst dort noch viele an den Folgen der üblen Haftbedingungen oder an Ruhr und Typhus starben. Ihre Intelligenz und die Tatsache, dass sie früher hin und wieder für die Eroberer gearbeitet hatte, ersparten ihr schließlich einen weiteren Aufenthalt in anderen Konzentrationslagern, wie auch die entbehrungsreiche und ebenfalls oft todbringende Zwangsarbeit im Straßen-, Wege- und Bahnbau.
»Wird wohl in Ordnung sein, das Papier …« Die Soldaten sahen sich unschlüssig und überfordert an.
»Ich bin fast jeden Tag im Lager. Die Soldaten, die schon länger hier stationiert sind, kennen mich.« Udako trat von einem Bein auf das andere. Besorgte Ungeduld breitete sich in ihr aus, da sie beim Anblick der acht frischen Gräber mit einer ganzen Anzahl neu hinzugekommener Waisen rechnete.
»Also gut. Aber ich hoffe doch, du bereitest uns keinen Ärger!«
»Nein, bestimmt nicht, Herr Gefreiter.«
Die Nama beeilte sich, von dem umfriedeten Eingangsbereich fortzukommen, und hastete in die erste Reihe zwischen die Pontok-Hütten. Selbst die aus starken Zweigen, Erde und Stroh errichteten Behausungen strahlten die Wärme der Sonne ab, die unbeeindruckt von der nahenden Regenwand am Himmel thronte. Alte Männer in ihren Umhängen und mit Strohhüten auf den ergrauten Locken saßen vor den halbrunden Hütteneingängen, während aus ihrem Inneren Kindergeschrei und Frauenstimmen herausdrangen.
Udako eilte zur dritten Reihe und fand dort, wie meistens, die alte Ana. Unter einem farbenfrohen Tuch, das sie sich um den Kopf geschlungen hatte, spiegelte ihr faltiges Gesicht die Höhen und Tiefen ihres Lebens
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