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Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Buechle
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hoch. Dunkle, vom Weinen geschwollene Augen sahen sie voll Angst und Misstrauen an, und er drückte sich noch enger an die Wand, bis er beinahe mit ihr zu verschmelzen schien.
    Udako streckte einladend ihre Hand in seine Richtung aus und schrak zusammen, als er nach ihr trat. Dabei stieß er einen gereizten Ruf aus. »Ich tue dir nichts. Ich bitte dich nur, mich zu begleiten. Heute gibt es auf der Station Süßkartoffeln und Fleisch vom Rind. Zum Trinken erhalten die Kinder frisches Wasser und manchmal, vielleicht auch heute, sogar etwas Fruchtsaft oder Tee.«
    Der Waisenjunge warf ihr einen Blick zu, der Udako durch Mark und Bein ging. Dieser kleine Kerl misstraute ihr zutiefst – ihr und der ganzen Welt! Wie groß musste der Schmerz in seinem Herzen sein, der ihn nicht nur seiner Sprache beraubt, sondern ihm jeden Funken Hoffnung und Vertrauen genommen hatte?
    Sie ahnte, dass sie heute nichts erreichen würde. Aber sie würde am nächsten Tag wiederkommen und am übernächsten. Entweder verging dieses Kind vor ihren Augen wie eine welke Pelargonie und starb, oder es würde von sich aus einen ersten Schritt tun. Udako fühlte sich hilflos angesichts der geschundenen Kinderseele.
    »Willst du mir heute wenigstens deinen Namen sagen? Ich sage ihn dann den weißen Soldaten, damit sie nicht vergessen, dir Essen und Trinken zu bringen. Und damit sie wissen, dass ich dich gern mitnehmen möchte. Nicht, dass sie dich woanders unterbringen und ich dich nicht mehr finde.«
    Der Kleine wandte sich schweigend noch weiter von ihr ab und zeigte ihr damit deutlich, dass er in Ruhe gelassen werden wollte. Udako seufzte. Sie hatte zumindest auf ein kleines Zeichen gehofft. So aber stieg die Furcht in ihr weiter an, ihn an Vernachlässigung und Hunger zu verlieren.
    »Ich muss einen Namen für dich haben«, überlegte sie laut, in der Hoffnung, ihn doch noch aus seiner Lethargie zu reißen. »Ich werde dich Benjamin nennen, bis du mir deinen richtigen Namen sagst.« Udako wartete erneut auf eine Reaktion des Kindes, doch auch diesmal blieb sie aus.
    Benjamin würde ein nichtssagender, fremder Name für den Jungen sein, denn in ihrer afrikanischen Heimat waren Namen sehr wichtig und in ihrer Bedeutung eng mit der Seele, den Geburtsumständen und der Familie des Menschen verbunden. Meist transportieren sie eine tiefere Bedeutung, eine Nachricht oder auch einen Wunsch.
    »Morgen komme ich wieder. Ich hoffe, du hast eine gute Nacht und fürchtest dich nicht, so allein.«
    Udako runzelte die Stirn, als ein abgemagerter Nama vor der Rundhütte erschien und hereinschaute. Ob er darauf aus war, dieses Pontok zu übernehmen? Hoffentlich warf er das verwaiste Kind nicht aus seiner Zufluchtsstätte!
    Auch der verstörte Junge bemerkte den lauernden Mann am Hütteneingang. Er kauerte sich noch kleiner zusammen, und Udako sah, dass er sie dabei musterte. Sie lächelte ihn aufmunternd an, verließ die Behausung und ging zögernd zwischen den eng stehenden Hüttenreihen hindurch, zurück in Richtung Eingang.
    Die Wächter am Eingangsbereich grinsten Udako lüstern an, ließen sie jedoch unbehelligt passieren. Doch kaum, dass sie sich ein paar Schritte entfernt hatte, rief einer von ihnen hinter ihr her: »He, Weib!«
    Sie ignorierte den Zuruf.
    »Die ist stolzer als ein Pfau«, lästerte der eine, während der andere ihr nachbrüllte: »Du hast hier was vergessen!«
    Noch immer ignorierte Udako die Soldaten. Ja, sie hatte ihren Stolz! Immerhin war ihr Vater sowohl bei den Nama als auch bei den weißen Männern, denen er als Führer und Dolmetscher gedient hatte, ein angesehener Mann gewesen.
    Ein eigentümlicher, unartikulierter Laut ließ Udako schließlich doch herumwirbeln. Überrascht sah sie den kleinen Benjamin, der sich gegen die beiden Wächter wehrte, die ihn zurückhalten wollten.
    »Lassen Sie ihn bitte, er gehört zu mir«, rief sie.
    »Einfach so mitnehmen kannst du ihn aber nicht!«
    »Ich erledige alle Formalitäten.«
    Die Soldaten ließen den zappelnden Jungen los, der erst einmal auf alle viere fiel, sich aber schnell aufrappelte und auf sie zurannte. Sein Kopf wirkte im Verhältnis zu seinem ausgezehrten Körper überdimensional groß und oberhalb seines vor Hunger aufgeblähten Bauches standen seine Rippen gut sichtbar unter der Haut hervor. Nur ein zerfetzter, verschmutzter Lappen bedeckte mit einer selbst gedrehten Schnur befestigt sein Geschlechtsteil. Der Kleine blieb zitternd ein paar Schritte von ihr entfernt

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