Himmel ueber fremdem Land
einen fröhlichen, unbeschwerten Ausflug nahezu unmöglich machen.
***
Durch die Glasfront des Anbaus fiel wegen der Büsche und Bäume im Garten schummeriges, grünes Licht in das Arbeitszimmer und ließ den alten Meindorff noch breiter und größer wirken, als er tatsächlich war.
Philippe beeindruckte die Erscheinung nicht mehr. Er kannte seinen Ziehvater mit seinen Fehlern, Vorlieben und Eigenheiten zu gut, als dass sein imposantes Äußeres, seine aristokratisch aufrechte Haltung und die herrische Stimme, die seine Machtzentrale innerhalb des Hauses schneidend durchdrang, ihn noch hätten einschüchtern können.
»Dein Vorschlag ist nicht nur inakzeptabel, sondern geradezu unverfroren. Aber was sollte ich von dir auch anderes erwarten, nicht? Ich und bei der AEG investieren? Welch abstruse Idee! Die AEG hat schon erfolglos versucht, Meindorff-Elektrik zu übernehmen. Einen zweiten Versuch wagen sie entweder nicht, oder aber sie stecken eine neuerliche Niederlage ein. Meindorff-Elektrik ist durchaus in der Lage, sich auf dem Markt gegen Siemens und die AEG zu behaupten!«
Philippe widerstand dem Drang, das Arbeitszimmer augenblicklich zu verlassen. Beim ersten Gegenwind klein beizugeben entsprach nicht seiner Art. »Die Wirtschaftskrise von 1901 ist gerade einmal sieben, der folgende Aufschwung fünf Jahre her und Sie haben die Folgen des Zusammenbruchs schon vergessen? Nirgendwo im Land hatte man siegesgewisser in die Zukunft geschaut als in Berlin und dabei gedankenlos über die Verhältnisse gelebt. Es wurden Häuser erbaut und verschwenderisch ausgestattet, Reisen unternommen, Schmuck, Kunstgegenstände und allerlei anderer Tand angeschafft, und plötzlich waren die finanziellen Mittel erschöpft. Arbeiter mussten entlassen, Häuser veräußert werden, um mühsam den Kopf über Wasser zu halten, den Schein zu wahren …«
»Halte mir keine Vorträge, Junge. Diese Jahre haben Meindorff-Elektrik kurzfristig geschwächt, doch nun sind wir neu erstarkt und gefestigter als zuvor.«
»Bis zur nächsten Krise.«
»Die wird es in absehbarer Zeit nicht geben!« Meindorffs Stimme donnerte aufgebracht zu dem Leutnant herüber. Philippe drehte sich um und wurde gewahr, dass sein Ziehvater erregt aufgesprungen war. Sein noch erstaunlich faltenloses Gesicht verfärbte sich zunehmend. Ihm war es also wieder einmal gelungen, den Mann, der ihn in seinem Haus großgezogen hatte, mit nur wenigen Sätzen gegen sich aufzubringen.
Einen Moment spielte er mit dem Gedanken, sich zu verabschieden. Vielleicht war seine Sorge um die Sicherheit des Hauses Meindorff – die unweigerlich mit dem finanziellen Erfolg von Meindorff-Elektrik zusammenhing – unbegründet. Die Wirtschaftslage zeigte sich nach der neuerlichen Konjunktur stabil, und zumindest der jüngere Meindorff, der eines Tages die Nachfolge der Geschäfte antreten würde, hatte sich mit seiner Brauerei ein ordentliches zweites Standbein geschaffen. Allerdings besaß Berlin eine Unzahl an konkurrierenden Bierbrauereien. Käme es hart auf hart, würde ein Großteil von ihnen schnell untergehen.
Das war der Grund, weshalb Philippe vorgeschlagen hatte, Meindorff-Elektrik sollte sich nach mindestens einem, besser mehreren Standbeinen umsehen, ebenso in andere Firmen investieren. Er selbst hielt inzwischen einen kleinen Aktienanteil bei der AEG und der Deutschen Bank, doch da Meindorff verständlicherweise auf beide Einrichtungen nicht gut zu sprechen war, behielt er dies für sich.
Gerüchte, dass sich einige der nach der Wirtschaftskrise mühsam geretteten Betriebe zu verschiedenen Kartellen zusammengeschlossen hatten, mit denen sie den eigentlich freien Markt mit Preisabsprachen korrumpierten, sickerten selbst zu ihm durch. Und so manch ein Besucher der letzten Jahre bestätigte seinen Verdacht, dass Meindorff selbst einem dieser Kartelle angehörte. Vermutlich handhabten auch die AEG und Siemens das in ganz ähnlicher Weise, doch die beiden Großkonzerne waren, da sie die Krise größtenteils unbeschadet überstanden hatten, inzwischen dazu übergegangen, keine Preisabsprachen mehr zu treffen, sondern die kleineren Unternehmen kurzerhand zu schlucken.
Philippe wusste nicht, mit welchen Mitteln Meindorff an eine neuerliche Finanzspritze gelangt war, um damit sein Unternehmen zu erhalten, denn das Jahr 1908 ließ sich nicht eben gut an: Berliner Großbanken, allen voran die Deutsche Bank, kontrollierten inzwischen über 80 % des gesamten deutschen Bankkapitals und
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