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Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Buechle
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wider, und aus ihren dunklen Augen, von hängenden Lidern halb verdeckt, sprach eine in Anbetracht ihrer Situation eigentümliche Gelassenheit.
    »Gut, dass du kommst.« Anas Stimme war leise und klang rau, als habe sie sich über die langen Jahre ihres Lebens abgenutzt, doch ihre Worte waren wohl gewählt, wollte sie diese doch nicht mit Nebensächlichkeiten vergeuden.
    »Ein Waisenkind?«
    »Du kennst ihn. Der Herero, der nicht spricht. Seine Tante ist gestern gestorben.«
    Es war abzusehen, dass die Frau, die den verstörten Jungen bei sich aufgenommen und schon bei ihrer Ankunft in Windhuk unter ausgeprägtem Skorbut gelitten hatte, der wieder neu grassierenden Ruhr nichts entgegensetzen konnte.
    »Wo ist er?«
    »Dort, wo sie wohnten.«
    »Ich danke dir, Ana.«
    Die Greisin nickte und wandte sich wieder ihren Glasperlen zu. Ihren zitternden Händen zum Trotz beherrschte sie das Aufziehen winzigster Schmuckperlen auf ein Halsband meisterhaft.
    Im Weitergehen grüßte Udako links und rechts, wobei manches Augenpaar sie verfolgte, dessen Blick nicht von Freundlichkeit geprägt war. Die Inhaftierten kannten sie und ihre Bemühungen, den Kindern des Lagers zu helfen, aber genauso wussten sie um ihre Stellung als ehemalige Bedienstete im Gouvernements-Haus. Sie war jung, gesund und dank ihrer Arbeitskarte nicht an diesen trostlosen und demütigenden Ort gefesselt, der den Insassen nicht nur die Freiheit, sondern auch die Sicherheit des Stammesgefüges nahm.
    Kaum einer von ihnen ahnte jedoch, dass Udako auf der Haifischinsel in einem noch weitaus schlimmeren Lager als diesem dahinvegetiert war und dort Bruder und Mutter verloren hatte. Ihr Vater war bereits während der kriegerischen Aufstände gestorben. Lange Zeit hatte Udako mit Aufruhr und Hass in ihrem Herzen gelebt und sich damit beinahe zerstört. Erstaunlicherweise erfuhren die ihr grausam in die Seele geschlagenen Wunden ausgerechnet von den Menschen Heilung, die sie ihr zugefügt hatten – die weißen Eindringlinge. Doch dieser Vorgang lief im Verborgenen ihres Herzens ab, ebenso wie ihre Liebe zu einem deutschen Offizier ihr gut gehütetes Geheimnis blieb.
    Die junge Frau trat vor die niedrige Türöffnung einer Rundhütte und legte beide Hände auf die vom letzten Regen noch feuchte oberste Schicht des Strohdaches, ehe sie sich prüfend umblickte. Zwei Männer unterhielten sich leise, eine Frau an zwei Krücken humpelte vorbei und verschwand in einer benachbarten Hütte. Weiter entfernt jammerte ein Säugling mit erbärmlich kraftlosem Stimmchen.
    Udako atmete die nach trockenem Sand und Unrat riechende Luft ein, bevor sie auf Herero nach dem Kind rief und es bat, herauszukommen. Als Antwort drang das verhaltene Rascheln von Stroh aus dem Dunkel der kleinen Hütte, was Udako veranlasste, in die Hocke zu gehen und in das düstere Innere zu blicken. An der am weitesten von ihr entfernten Stelle kauerte ein etwa fünfjähriger Junge, der die Arme um seine angewinkelten Beine geschlungen hatte. Seine Haltung drückte Verzweiflung und Furcht zugleich aus.
    »Ich weiß, dass du ganz allein bist. Das war ich ebenfalls, bevor ich aus dem Lager herauskam.«
    Der kleine Herero rührte sich nicht. Im schwachen Dämmerlicht der Hütte konnte sie nicht mehr als seine Umrisse erkennen. Bereits ein paarmal hatte sie versucht, mit dem verstörten Kind Kontakt aufzunehmen, denn es hatte auf der Hand gelegen, dass seine Tante nicht mehr lange für ihn da sein würde. Diese hatte ihr berichtet, dass er kein Wort mehr gesprochen hatte, seit er mitansehen musste, wie seine Mutter und seine beiden Schwestern von einem Weißen und einigen Schwarzen in den Uniformen der Schutztruppe misshandelt und getötet worden waren.
    »Du kennst mich und weißt, dass ich die Kinder aus dem Lager bringe, wenn sie allein zurückbleiben. Ich möchte auch dich mit hinausnehmen. Du darfst in einem Haus leben, gemeinsam mit anderen Kindern. Dort bekommst du Unterricht, Kleidung und Essen. Wir spielen und singen zusammen und hören Geschichten.«
    Vergeblich wartete sie auf eine Reaktion des Jungen. Sie hörte das Lachen der draußen spielenden Kinder, die aufgrund ihres Alters nicht so streng bewacht wurden wie die Erwachsenen und eine gewisse Narrenfreiheit besaßen. Der verstörte Junge war niemals einer von ihnen gewesen; noch nie hatte Udako ihn außerhalb der Hütte gesehen.
    Langsam schob sie sich durch den Durchgang in die Hütte und setzte sich auf den Boden. Der Kopf des Kleinen ruckte

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