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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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knutschten nicht , wenn er später in seinem Leben an diesen letzten Abend dachte, war es leider dieser altmodische Ausdruck, der sich bei ihm meldete.
    Als er kurz nach Mitternacht im Bett lag, fiel es ihm schwer einzuschlafen. Sein Kopf war mit so vielem angefüllt: dem Duft ihres Haars, der unendlichen Weichheit ihrer Lippen, diffuser Erwartungen, lauwarmem Wodka-Lemon und etwas im Hals. Es fiel ihm schwer zu schlucken.
    Als er am folgenden Morgen aufwachte, hatte er hohes Fieber und am ganzen Körper einen roten Ausschlag.

37

Das gelbe Notizbuch
    I ch betrachtete ihn. Er saß anscheinend ruhig und entspannt da, die weiße Plastiktüte auf dem Schoß. Vielleicht schaute er ein wenig gelangweilt drein, als würde ihn die Tatsache, dass er ein Glied in einer Spionagekette war, nicht im Geringsten interessieren und ihn keinesfalls irgendwie erregen. Er kontrollierte, ob die Nägel an beiden Händen gepflegt waren, schaute auf seine Armbanduhr und gähnte diskret.
    Dann begegneten sich unsere Blicke. Es geschah nur während des Bruchteils einer Sekunde, und ich schaute sofort schnell weg. Der Zug setzte gerade zum Bremsen vor der Haltestelle Leicester Square an, und genau in dem Moment, als wir anhielten, stand Monroe schnell auf und verschwand durch die vordere Tür. Ohne Vorwarnung; ich eilte sofort ebenfalls zur Tür, blieb jedoch hinter einer breiten Frau stecken, die mit einem Kinderwagen hineinwollte. Es gelang mir, in letzter Sekunde durch die mittlere Tür hinauszukommen, und ich sah gerade noch mein Objekt, das in schnellem Schritt zum blauen Aufkleber der Piccadillylinie marschierte.
    Wenn man nach Camden Town fahren will, gibt es keinen logischen Grund, die Bahn zu wechseln. Weder am Leicester Square noch irgendwo sonst. Ich folgte ihm in sicherem Abstand, es war ziemlich belebt, aber trotzdem nicht schwer, ihn im Auge zu behalten, und ein paar Minuten später saßen wir in einem neuen Zug. Piccadilly Line, Richtung Osten. Wir befanden uns einander schräg gegenüber, ich gab mir alle Mühe, ihn nicht anzusehen. Holte meine Zeitung aus der Jackentasche, schlug die Sportseiten auf und begann die Kricketergebnisse zu studieren.
    Es wurde eine kurze Reise, eine sehr kurze Reise. Der nächste Halt war Covent Garden. Monroe stand schnell auf und verließ den Zug. Ich folgte ihm, dieses Mal etwas geschickter, während ich immer noch so tat, als wäre ich mit einem Auge in die Kricketresultate vertieft. Wir folgten dem Strom der Reisenden zum Ausgang, Monroe einige Meter vor mir.
    Covent Garden ist nur eine kleine U-Bahn-Station, und sie liegt tief unter der Erde. Hier gibt es keine Rolltreppe. Um an die Erdoberfläche zu gelangen, muss man entweder den Fahrstuhl benutzen oder die Treppen, doch Letzteres tut kaum ein Mensch, da es sich um 173 Treppenstufen handelt. Wir sammelten uns in einer Gruppe in Erwartung eines der großen, langsamen Fahrstühle. Er traf innerhalb einer halben Minute ein, Leute strömten in die andere Richtung aus ihm hinaus, die Türen auf unserer Seite öffneten sich, und unsere Gruppe begann sich hineinzuschieben. Monroe schien es nicht eilig zu haben, er ließ mehrere Mitreisende vor, und genau in dem Moment, als die Türen sich schließen wollten, trat er ein paar Schritte zurück, statt hineinzugehen. Ich zögerte einen Moment, tat es ihm dann gleich.
    Die Türen wurden geschlossen. Der Fahrstuhl startete seine mühsame Fahrt hinauf. Zurück in dem halbdunklen Gewölbe waren nur Monroe und ich geblieben. Sonst niemand. Es waren keine Schritte zu hören, weder von den Treppen noch von dem gefliesten Gang, der zu den Bahnsteigen führte. Nach den Geräuschen und der Stille zu schließen, war kein anderer Fahrstuhlkorb auf dem Weg nach unten.
    All diese Dinge registrierte ich in der Sekunde, die verstrich, bevor mir klar wurde, dass etwas schiefgelaufen war.
    In der nächsten Sekunde rauschte die letzte Viertelstunde vor meinem inneren Auge vorbei. Mein Warten auf der Bank in Charing Cross, die weiße Plastiktüte, die den Besitzer wechselte, die kurze Fahrt nach Leicester Square … Monroe, der seine Fingernägel betrachtete, unsere Blicke, die einander trafen … das war der Punkt gewesen, das war mir klar. Er hatte mich erkannt, als ich dort stand und ihn ansah, war sich meiner Anwesenheit im nächsten Zug bewusst gewesen und hatte bemerkt, dass ich ihm zum Fahrstuhl gefolgt war. Der letztendlich entscheidende Schritt war erfolgt, als ich aus dem Fahrstuhlkorb wieder herausgetreten

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