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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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Ministerposten in Aussicht gestellt worden. In garantierte Aussicht. Etcetera etcetera.
    Wenn Carla sagen sollte, welchem ihrer Kontakte sie am meisten misstraute, wen sie als Schuldigen benennen würde, dann war es Monroe. Sie konnte selbst nicht erklären, warum, aber wenn sie gezwungen wäre, einen intuitiven Beschluss zu fassen, dann würde es ihn treffen. Und die Lage erforderte jetzt, dass sie handelte. Nein, die Entscheidung für Monroe hatte nichts mit seiner Homosexualität oder den Schwiegermutterträumen zu tun, das versicherte sie mir. Allein mit Intuition, und die ist, wie gesagt, die ältere Schwester des Wissens.
    Sie hatte bereits Kontakt zu ihm aufgenommen, es ging um ein Treffen, bei dem etwas übergeben werden sollte. Es war eine Routinegeschichte; Monroes Aufgabe war es, ohne Verzögerung ein Paket von Carla zu einer Adresse in Camden Town zu bringen, einem Tabakladen in der Arlington Road. Ohne Verzögerung , das hieß, innerhalb von höchstens zwei Stunden, gerechnet von der Charing Cross Station, wo er kurz nach elf Uhr vormittags auf Carla treffen sollte. Bis Camden Town brauchte man unter normalen Verkehrsbedingungen fünfundvierzig Minuten. Auf keinen Fall mehr als eine Stunde, meine Aufgabe war es, zu kontrollieren, ob Monroe etwa einen Umweg machte. Vielleicht jemand anderen traf, bevor er in der Arlington Road ablieferte.
    Da Monroe sein Paket unten in der U-Bahn auf der Charing Cross Station bekommen sollte, wäre es das Natürlichste, wenn er einfach die Northern Line hoch nach Camden nahm, aber in der Beziehung hatte er freie Hand. Wenn er mit dem Taxi oder Bus fahren wollte, dann war das seine Sache. Auf jeden Fall befand ich mich rechtzeitig auf dem betreffenden Bahnsteig, Bakerloo Line, Richtung Norden. Ich saß mit einer Zeitung auf einer Bank und hatte Carla im Blick, die gut zwanzig Meter von mir entfernt mit einer weißen Plastiktüte stand und wartete. Seit unserem Treffen waren zwei Tage vergangen, ich hatte Miss Hampton von Foyle’s erklärt, dass ich immer noch an den Folgen meiner Lebensmittelvergiftung litt. Höchstwahrscheinlich glaubte sie mir nicht, ließ jedoch fünfe grade sein.
    Ein Zug fuhr ein, Menschen stiegen aus, es war kurz vor Mittag, und es herrschte ziemliches Gedränge. Carla drängte sich in den ersten Wagen und verschwand, ein Herr passend zur Beschreibung, die ich hinsichtlich Monroe erhalten hatte, ging an mir vorbei mit der Plastiktüte in der Hand. Ein schmächtiger, gut gekleideter Herr mit dunklem, kurz geschnittenem Haar und schmalen Koteletten. Leichte, federnde Schritte in dieser deutlich homosexuellen preziösen Art. Ich stand auf und folgte ihm eine kurze Treppe hinauf und durch einen Tunnel, der uns zur Northern Line führte, nördliche Richtung. Wir kamen auf den Bahnsteig. Nach wenigen Minuten fuhr ein Zug ein. Wir stiegen in denselben Wagen, aber durch verschiedene Türen. Er fand einen Sitzplatz, ich blieb stehen und hielt mich an einem Deckengriff zwei Meter von ihm entfernt fest. So weit, so gut.

36

    W ä hrend der Wochen bis zur Abiturprüfung war Lars Gustav Selén der Meinung, er würde in einem Zustand extremer Unwirklichkeit leben.
    Oder vielleicht einer neuen Wirklichkeit, das war nicht so leicht zu sagen. Er hatte in Carla Carlgrens Bett gelegen und sie geküsst. Sie umarmt, mit ihr geknutscht und war eins mit ihr geworden, sie waren natürlich nicht bis zum Schluss gegangen – wie man so sagte und wie es offenbar Leo Wermelin und Birgitta Lunner getan hatten –, doch er hatte ihre Brüste in seinen Händen gespürt, und sie hatte ihre Hand auf sein steifes Glied gelegt. Zwar auf die Unterhose, doch in der Jeans. Und sie hatten sich aneinandergepresst, hart und fest, Körper an Körper, Geschlecht an Geschlecht. Es war großartig gewesen. Es war etwas Unbegreifliches größeren Kalibers als irgendetwas von Vater Teodors alten Fantasiegeburten. Lars Gustav und Carla Carlgren. Die interessanteste Frau der Schule.
    Ja, zweifellos hatte er in diesem Frühsommer 1968 das Gefühl, dass das Leben in seine Blüte ausbrechen würde. Und die volle Blüte schien nicht weit entfernt zu liegen. Eine Gruppe aus der Abschlussklasse, 3IIIb, sozialer Zweig, hatte beschlossen, nicht so abrupt einfach auseinanderzugehen. Das war noch nicht angesagt, stattdessen wollte man eine gemeinsame Reise unternehmen – nach London, in die Stadt aller Städte und die ungekrönte Metropole der neuen Zeit. Zwar fand eine Art von Revolution in Paris statt,

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