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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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war, deutlicher hätte es nicht sein können.
    Und jetzt standen wir hier.
    Erneut schauten wir uns an; ich konnte die Andeutung eines Lachens sehen, vielleicht auch nur ein sanftes Lächeln – als wüsste er, dass er der Stärkere war, derjenige, der einen Bluff durchschaut und das Spiel gewonnen hatte. Doch er sagte nichts, machte keinerlei Anstalten, auf irgendeine Weise aus der Situation herauszukommen oder sie in irgendeine Richtung hin zu verändern. Er drückte nichts anderes aus als Beherrschung und Selbstkontrolle.
    Im Nachhinein habe ich nie erklären können, warum ich reagierte, wie ich es tat, aber vielleicht war es diese arrogante Überheblichkeit, die mich dazu brachte. Die den Becher zum Überlaufen brachte. Carla hatte mir nur die Anweisungen gegeben, mich herauszuziehen, wenn etwas schieflief, doch in dieser Lage war es unmöglich, mich zurückzuziehen. Ich konnte mich ja nicht einfach in Luft auflösen. Wir befanden uns fünfzig Meter unter der Erde, ich war von Monroe erwischt worden, und das konnte mit sich führen, dass auch sie erwischt werden würde, genau wie sie befürchtet hatte. Mit anderen Worten: das Schlimmste aller befürchteten Szenarien. Ich spürte plötzlich eine Machtlosigkeit und eine Wut in mir, und in Kombination mit Monroes überheblicher Art, wie er dastand und mich mit leicht hochgezogenen Augenbrauen betrachtete, war das ganz einfach zu viel. Viel zu viel, ja, wahrscheinlich steckte nicht mehr dahinter.
    Ich holte mit aller Kraft ganz von unten aus, aus den Zehenspitzen, und meine Rechte war wirklich nicht schlecht. Er fiel wie ein gekeulter Ochse und blieb stöhnend auf dem schmutzigen Boden liegen. Ich schnappte mir die Plastiktüte mit meiner Linken, die Rechte vibrierte nach dem Schlag noch bedenklich, fast schien der ganze Arm eingeschlafen zu sein, und lief die Treppen hinauf. Nach nur gut zwanzig Treppenstufen konnte ich von unten empörte Stimmen hören, eine Frau schrie auf, und eine grobe Männerstimme rief um Hilfe und nach der Polizei.
    Ich lief die 173 Stufen wie ein Wahnsinniger nach oben, es begegnete mir kein einziger Mensch, der auf dem Weg nach unten war, ich kam nur ungefähr auf halbem Weg an einem eng umschlungenen, knutschenden Paar vorbei, und als ich durch die Kontrolle oben auf der Straße gegangen war, hatte ich so viel Milchsäure in den Beinen, dass ich kaum noch gehen konnte. Ich stolperte zum Leicester Square und schlüpfte nach ein paar hundert Metern in ein Café. Ließ mich mit einer Tasse Kaffee und einem Glas Wasser an einem schmutzigen Tisch niedersinken und dachte, dass ich jetzt alles verdorben hatte. Jetzt würde alles schiefgehen.
    Doch dem war nicht so. Dem war ganz und gar nicht so. Wie verabredet trafen Carla und ich uns am selben Abend in der Wohnung in der Kemble Street. Sie wusste bereits, was unten in der U-Bahn-Station am Covent Garden passiert war, doch meine Befürchtungen, ich hätte ihre Arbeit für alle Zeiten sabotiert, indem ich Monroe niedergeschlagen hatte, erwiesen sich Gott sei Dank als unbegründet. Es war sogar genau umgekehrt; bereits am selben Abend erklärte Carla mir, dass es höchstwahrscheinlich das Beste war, was überhaupt hatte passieren können. Sie ging nicht näher in die Details, berichtete mir nicht, in welcher Form meine übereilte Aktion von so großer Hilfe für ihre weitere Arbeit sein würde, und ich fragte auch nicht nach. Ich hatte einen Verräter und Stinkstiefel niedergeschlagen, das reichte mir, mich erfüllte das angenehme Gefühl, wie ein Mann gehandelt zu haben, und dank irgendwelcher Umstände, die außerhalb meiner Kontrolle lagen, bedeutete das gleichzeitig, dass Carlas Position und Glaubwürdigkeit bei den hohen Herren in Prag gestärkt worden war. Da konnte ich nur meinem glücklichen Stern danken. Sie durfte in London bleiben. Ihre Arbeit für die guten Kräfte konnte fortgesetzt werden. Unsere Beziehung konnte wieder neuen Schwung erhalten. Sie war nicht länger der gestutzte Vogel, ich hatte die Situation gerettet.
    In dieser Nacht ging unsere Liebe in eine neue Phase über. Zum ersten Mal konnten wir uns eine mögliche Zukunft vorstellen, nein, nicht Zukunft, das wäre zu viel gesagt, aber eine Art Stabilität. Ich spürte das, und ich bin mir sicher, Carla ging es genauso. Am nächsten Morgen lief ich direkt von der Kemble Street zu Foyle’s, und wir hatten beschlossen, uns bereits in zwei Tagen wiederzusehen. Ich fühlte buchstäblich, wie mein Herz in der Brust schwoll und

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