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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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stand, dass mein Visumsantrag für die Tschechoslowakei vorläufig bearbeitet worden war. Doch das war nur der erste Schritt, ich hatte mich innerhalb eines Monats mit meinem Pass für ein kurzes Interview in der Botschaft einzufinden.
    Im Oktober und November bekam ich zwei weitere Briefe von Carla, abgeschickt in verschiedenen Städten in West deutschland, und ihre Aufforderungen, zu ihr zu kommen, waren möglicherweise noch eindringlicher als im ersten Brief. Ich habe natürlich auch diese Briefe noch, aber es gibt keinen Grund, den Inhalt hier wiederzugeben. Wollte ich ihren Einfluss auf mich beschreiben, könnte ich vielleicht behaupten, dass die Temperatur dieses Elixiers anstieg. Ja, ungefähr so.
    Es dauerte bis zum 15. Januar, dass sie mich in der tschechoslowakischen Botschaft empfingen. Ich verbrachte eine Stunde mit einem mageren, misstrauischen Herrn in einem Zimmer, und ich hätte schwören können, dass es einer der Männer aus dieser Fotosammlung war, die ich vor vielen Jahren bei Bramstoke and Partners antiquarischem Buchhandel in der Hogarth Road entgegengenommen hatte. Doch als ich die Sache abends überprüfte – ich hatte immer noch alles in einer Mappe in meinem Bücherregal –, kam ich zu dem Schluss, dass ich mich geirrt haben musste.
    Auf jeden Fall bekam ich einen Monat später einen neuen Bescheid von der gnädigen Botschaft: Mein Antrag auf Einreise in die sozialistische Republik war bewilligt worden. Ab dem 25. März für einen Monat. Ich kaufte ein Ticket für den Nachtzug von Waterloo Station bis Paris, Abfahrt am 23. um 23.45 Uhr. Ich hatte einen kurzen Brief an Carlas Schwester geschrieben – laut den Instruktionen, die ich erhalten hatte – und ihr mitgeteilt, dass ich am 25. März um halb fünf Uhr nachmittags in Prag ankommen würde.
    Ich hatte keine Antwort erhalten, aber für den Fall, dass niemand auf dem Bahnsteig stand, um mich zu empfangen, hatte ich eine Adresse und eine Telefonnummer.
    Sowie für alle Eventualitäten für fünf Nächte ein Hotelzimmer reserviert in der Nähe des Vaclavplatzes.

IV.

51

    L ars Gustav Selén landete am 23. August um halb sieben Uhr abends Ortszeit auf dem Flughafen Heathrow.
    Es war die zweite Flugreise seines Lebens, aber er hatte Filme übers Fliegen gesehen und diverse Bücher gelesen, in denen die Leute sich kreuz und quer über die Erde mit Hilfe dieser modernen Errungenschaft bewegten – wie sie ungeplante Wartezeiten auf fremden Flugplätzen verbrachten, überraschende und schicksalsschwere Begegnungen erlebten, von Frauen, Freundin nen oder Kindern für ewig getrennt wurden, ins Meer stürzten und gerettet oder nicht gerettet wurden, und Ähnliches –, weshalb er mit dem Ablauf an sich relativ vertraut war.
    Und die Reise war gut verlaufen. Er hatte gewisse Befürchtungen gehabt, dass sein Rücken sich melden würde, doch es war gut gegangen. Natürlich gab es mal den einen oder anderen Schmerz und die übliche dumpfe Steifheit, aber er hatte ohne Probleme von seinem Sitz aufstehen können, als es an der Zeit war, die Kabine zu verlassen.
    Es war ihm auch gelungen, sich auf dem großen Flugplatz zurechtzufinden, sowohl das Gepäckband zu finden als auch anschließend den Zug, den Heathrow Express, und nur eine gute Stunde nachdem das Flugzeug den Boden berührt hatte, befand er sich bereits an der Paddington Station im Herz der Vielmillionenstadt.
    Er fühlte sich verhältnismäßig ruhig. Was eigentlich normal für ihn war, doch er hatte erwartet, dass die Reise und die großen Veränderungen ihn mehr beeinflussen würden. Dass all das Neue, das brausende Leben, der Lärm und all das Fremde seine Sinnesruhe in höherem Grad erschüttern würden. Aber so war es nicht. Er kaufte sich einen Becher Kaffee und eine Zeitung – den Observer , da der Name gut zu seinem Auftrag passte – und ließ sich an einem Cafétisch auf dem großen Bahnhof nieder, dort blieb er eine ganze Weile sitzen, um die Atmosphäre an sich langsam in sich aufzunehmen.
    Die Atmosphäre und die Menschen; alle diese vollkommen unbekannten Individuen, die an ihm vorbeieilten, auf dem Weg zu oder von etwas. Auf einen bestimmten Punkt zu, wie er dachte, ein Heim mit einer Küche, ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer vielleicht, wo jemand oder niemand auf sie oder ihn wartete. Eine Ehefrau oder ein Ehemann, Kinder, vielleicht ein Haustier, ein eifriger Hund oder eine schläfrige Katze auf dem Fensterbrett – oder, wie gesagt, niemand.
    Oder zu einem Termin? Für

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