Himmel über London
gefunden hast und dein Leben in anderer Art und Weise weiterleben willst, dann habe ich vollstes Verständnis dafür. Ich habe dich unangemessen vielen Geduldsproben ausgesetzt, das weiß ich, aber wenn du trotzdem immer noch zu mir hältst, dann möchte ich wirklich, dass wir einen Versuch machen. Ich weiß eigentlich selbst nicht, was ich meine, wenn ich schreibe »einen Versuch«, aber ich weiß, dass ich dich von ganzem Herzen liebe und dass ich ein Leben ohne dich nur schwer akzeptieren kann. Meine politischen Aktivitäten liegen momentan auf Eis, im Großen und Ganzen seit ich zurück nach Prag gekommen bin; seit ein paar Monaten unterrichte ich Englisch und Französisch an zwei verschiedenen Schulen und erledige einige Übersetzerjobs, damit komme ich, was das Finanzielle betrifft, einigermaßen zurecht. Ich treffe meine Schwester und ihre Familie regelmäßig, du weißt, wie viel sie mir bedeuten. Vielleicht habe ich noch nicht ganz den Kampf für das Richtige aufgegeben, aber meine Auftraggeber haben mir zu verstehen gegeben, dass ich mich, was das angeht, für eine Zeit im Hintergrund halten soll. Und in diesem Punkt bin ich ganz ihrer Meinung, auch wenn ich mich natürlich zurück nach London sehne. Und zu dir. Vermutlich wird es aber dauern, bis ich wieder ausreisen kann, und deshalb möchte ich dich bitten, dir ernsthaft zu überlegen, herzukommen. Dass du und ich eine Liebesaffäre haben, das ist unseren neugierigen Behörden natürlich vollkommen klar, aber es ist in ihren Augen nichts Kompromittierendes. Ganz im Gegenteil, dass sich ein Westeuropäer in eine tschechoslowakische Frau verliebt, ist für sie nur eine Ehre, als wäre das aus irgendeinem unerklärlichen Grund ihr Verdienst. Ich bin eine schöne sozialistische Blume, komm und pflück mich! Nun ja, vielleicht unterschätze ich sie auch, aber wenn du ein Visum beantragst, bin ich mir sicher, dass sie dich für ein paar Wochen einreisen lassen, besonders wenn man bedenkt, dass sie deine Briefe gelesen haben und wissen, dass dein Herz für unsere paradiesische Republik brennt, in der alle bekommen, was sie brauchen, und nur tun müssen, was sie können.
Also schreib mir bitte und sag, was du willst, Leonard. Und dieses Mal kannst du auf all diesen blauen Dunst verzichten. Irgendwann im April, allerspätestens im Mai, wird ein Mann Kontakt zu dir aufnehmen. Er wird sich Nehmet nennen, und ihm kannst du beruhigt einen Brief übergeben, den zu lesen ich bereits jetzt gleichzeitig mit froher Erwartung und Schaudern entgegensehe. Aber vor allem mit freudiger Erwartung.
Ich liebe dich, Leonard. Ich will mit dir zusammenleben. Ja, genau so verhält es sich, nun hast du es schwarz auf weiß.
Deine Carla
Es dauerte dann bis Mitte Mai, bis Nehmet sich zeigte, und ich hatte diverse Stunden mit meinem Brief an Carla verbracht. Ihn immer wieder umgeschrieben, etwas hinzugefügt, etwas gestrichen. Doch an dem Grundtenor änderte ich nie etwas. Die Worte in ihrem Brief waren wie ein unwiderstehliches heißes Liebeselixier in mich hineingesickert und nie wieder herausgeflossen. Es war einfach nicht möglich, sie beiseitezuschieben, und als dieser Nehmet, ein schüchterner junger Mann in einem viel zu großen Anzug, eines frühen Morgens an meiner Tür klingelte, brauchte er nur seinen Namen zu nennen, damit ich ihm sofort den Umschlag mit den zehn Seiten an Liebeserklärungen anvertraute, die ich während meiner Wartezeit zusammengestellt hatte und die vor Eifer brannten, an die richtige Adresse zu gelangen.
Dann hörte ich mehrere Monate lang nichts mehr, Deborah und ich machten Schluss, und als ich im August 1973 eine neue Affäre einging, wusste ich, dass ich Alison eigentlich nur verfiel, weil sie mich von hinten – und aus der Ferne – ein wenig an Carla erinnerte. Ich weiß auch, dass ich, wenn wir uns liebten, fast immer die Augen schloss und mir einzubilden versuchte, dass es Carla war, die mich ritt, nicht Alison.
Es gelang mir nie, mich selbst zu täuschen, aber ich erinnere mich, dass das auch der Grund dafür war, warum die Sache ein Ende nahm. Aus Versehen rief ich während des Akts den falschen Namen, und das störte sie so sehr, dass sie mir am nächsten Morgen erklärte, dass ihr klar war, dass es eine andere gab, und sie genug von mir hatte.
Es war ein Samstag Anfang Dezember 1973 – ich wohnte zu der Zeit unter meiner letzten Adresse in London, 52 Sutherland Place –, und zwei Tage später bekam ich mit der Post einen Brief, in dem
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