Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
liebste Tante Elvira, ich werde hier bei euch sehr glücklich sein.«
Gleich am Tag nach ihrer Ankunft auf Birkenau hatte Eberhard vorgeschlagen, mit Aglaia nach Linderwies zu reiten. »Du musst doch meinen Wirkungskreis kennenlernen«, sagte er, »und wissen, wo ich mich herumtreibe, wenn ich stundenlang unterwegs bin.«
Das Wetter war herrlich. Aglaia ritt ihre Hortensie, ihre Lieblingsstute, die sie niemals auf Wallerstein zurückgelassen hätte, und Eberhard seinen Schimmel Zeus, einen heißblütigen Hengst von außergewöhnlicher Schönheit. In leichtem Trab ging es durch die breite Ulmenallee, und nach ein paar Minuten erreichten sie den Birkenwald. Das durch die hellen Blätter gefilterte Licht warf zarte Schatten auf Aglaias schönes Gesicht. Eberhard zügelte sein Pferd und beugte sich zu ihr hinüber. »Du bist wunderschön, meine Liebste«, sagte er und küsste sie zärtlich auf den Mund.
»Ach, du Schmeichler«, lachte Aglaia glücklich und fiel in einen leichten Galopp. Doch als sie aus dem Wäldchen herausritten, hielt Aglaia an. Sie war überwältigt von dem Anblick, der sich ihr bot. Über dem weiten ostpreußischen Land lag ein Zauber, der ihr jedes Mal wieder den Atem nahm. »Ich habe immer geglaubt, Wallerstein sei der schönste Fleck auf der Welt. Aber hier ist es ja genauso schön.« Vor ihr lag ein Tal mit sanften Hügeln voller wogender Kornfelder, saftiger Wiesen, auf denen Kühe grasten, und weiß eingezäunte Pferdekoppeln. Größere Baumgruppen, fast könnte man sie kleine Wälder nennen, ließen die Landschaft wie einen riesigen Park erscheinen, und in der Ferne schlängelte sich ein Fluss, der im Sonnenlicht wie ein Silberstreifen glänzte. Linkerhand, vielleicht zwei Kilometer entfernt, lag ein großes Gehöft mit einem Haupthaus, zahlreichen Nebengebäuden und Stallungen.
»Das ist Linderwies«, sagte Eberhard stolz. »Mein Reich. Unser Reich. Und alles, was du siehst, gehört dazu. Aber nun komm. Oberinspektor Basedow und seine Frau Minchen erwarten uns zum zweiten Frühstück. Alle sind ja schon so gespannt auf dich.«
»Na denn man los«, rief Aglaia und gab ihrem Pferd die Sporen.
Auf dem Hof lief ihnen ein rotbackiger Knecht entgegen und nahm die dampfenden Pferde in Empfang.
»Reib sie gut trocken, Michel«, sagte Eberhard freundlich, »und führ sie an die Tränke.«
»Is man klar, Herr Gjraf«, sagte der Junge und zu Aglaia: »Herzlich willkommen och, Frau Gjräfin.« Auf dem Weg zum Haupthaus, wo der Oberinspektor mit seiner Familie wohnte, begegneten ihnen zahlreiche Knechte und Mägde. Die Burschen zogen ihre Mützen, und die Mädchen knicksten. Alle hießen Aglaia herzlich willkommen. Einige Gesichter kamen Aglaia bekannt vor. Dann fiel es ihr ein. Sie hatten an ihrem Hochzeitstag am Wegesrand gestanden und gewunken.
»Ah, da ist ja Basedow«, rief Eberhard. Ein großer kräftiger Mann Anfang dreißig kam ihnen entgegen. Seine Erscheinung drückte Energie und Selbstbewusstsein aus. ›Ein gut aussehender Mann‹, dachte Aglaia. Sein männliches Gesicht war eingerahmt von einem dunklen Vollbart, und blaue Augen leuchteten ihr freundlich entgegen. Sein offenes Lachen gefiel Aglaia sofort, und sie streckte ihm die Hand entgegen.
»Willkommen auf Linderwies, Frau Gräfin«, sagte er und umfasste ihre Hand mit festem Druck.
»Danke, Herr Basedow. Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Mein Mann hält große Stücke auf Sie.«
»Das freut einen ja denn man auch.« Er schüttelte nun Eberhard die Hand. »Woll’n wir gleich reingehen, meine Frau hat Kleinmittag vorbereitet. Oder soll ich erst mit Ihnen einen Rundgang machen?«, fragte er.
In der Tür des Haupthauses erschien jetzt Minchen Basedow, an der einen Hand einen etwa zweijährigen pausbackigen Jungen mit blonden Locken und den blauen Augen seines Vaters und auf dem Arm ein Kleinkind von ein paar Monaten. »Ich denke, Ihre Frau erwartet uns«, sagte Aglaia. »Der Rundgang läuft uns ja nicht weg.« Minchen Basedow war eine sehr kleine, etwas dralle Person mit etwas zu kurzen Beinen, aber einem bildhübschen Gesicht, bernsteinfarbenen Augen unter fein gestrichelten Brauen und einem vollen, schön geschwungenen Mund. Unter ihrer blütenweißen Schürze wölbte sich ein Bäuchlein. Offensichtlich war sie wieder schwanger.
»Das ist Minchen, meine Frau«, stellte Basedow sie Aglaia vor. »Und das …«, er deutete auf den Knirps, der sich dicht an seine Mutter drückte, »… das ist Mäxchen, unser Großer.« Er
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