Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
tätschelte ihm liebevoll den Kopf. »Wie man sieht, ist sie trächtig«, sagte er. »Die Zitzen sind schon geschwollen. Es wird wohl nicht mehr lange dauern.«
»Oh«, unterbrach ihn Aglaia »kann ich einen von dem Wurf haben? Mein Peterchen ist vor ein paar Monaten gestorben. Ich hatte ihn dreizehn Jahre und hab sehr um ihn getrauert.« Sie strich dem Tier über den Kopf. »Aber jetzt bin ich bereit für eine neue Liebe.« Sie sah ihren Mann fragend an. »Es ist dir doch recht, Eberhard?«
»Was sollte ich denn dagegen haben, solange du den Hund nicht mehr liebst als mich!« Er legte liebevoll den Arm um sie.
Über zwei Stunden begingen sie nun den Hof und besichtigten die Remise, die Ställe, den Hühnerhof, die Schweineställe und den großen Gemüsegarten. Sie erfuhr alles über die Größe des Viehbestandes, wie viel Fohlen dieses Jahr geboren worden waren und dass der Ertrag der diesjährigen Ernte fulminant sein würde. Alles war in einem fabelhaften Zustand, das sah sogar Aglaia, die nun wirklich nichts von Landwirtschaft verstand. Aber bald konnte sie nichts mehr aufnehmen. Als Eberhard dann auch noch auf die Koppeln reiten wollte, um ihr die Fohlen zu zeigen, rief sie: »Eberhard, mir schwirrt der Kopf! Ich kann nicht mehr. Bitte lass uns nach Hause reiten. Ich bin einfach todmüde.« Als sie sein enttäuschtes Gesicht sah, ergänzte sie schnell: »Wir können doch morgen wiederkommen.«
»Natürlich, mein Liebes. Verzeih, wenn wir dich ein wenig überfordert haben. Wir brechen sofort auf.« Er rief dem Knecht zu, ihnen die Pferde zu bringen.
»Nun, wie hat dir Linderwies gefallen?«, fragte Jesko sie, als sie am Nachmittag beim Tee saßen.
»Es ist einfach wunderbar«, sagte Aglaia begeistert. »Du weißt, ich verstehe wirklich kaum etwas von der Landwirtschaft, aber heute habe ich mächtig viel gelernt.«
»Soso«, sagte Jesko lächelnd. »Was denn, mein Kind?« Aglaia sah ihn hilflos an. »Es war so schrecklich viel. Ehrlich gesagt, das Meiste habe ich schon wieder vergessen.«
»Na, das kann ja heiter werden«, unterbrach Eberhard mit gespielter Entrüstung das allgemeine Gelächter, »so sehr interessiert sich meine Frau für meine Arbeit!«
»Wie war denn euer Kleinmittag bei dem Oberinspektor? Ich hab gehört, seine Frau soll noch ein halbes Kind sein«, wechselte Elvira das Thema.
»Das kann man wohl sagen«, warf Eberhard ein. »Sie ist gerade man siebzehn und bekommt schon ihr drittes Kind.«
»Aber ich finde sie richtig niedlich«, sagte Aglaia. »Zuerst war es ja schrecklich zäh. Die Arme war furchtbar aufgeregt über unseren Besuch, so schüchtern und gehemmt.«
»Aber später habt ihr gekichert, und du hast ja sogar laut gelacht.« Eberhard schmunzelte bei der Erinnerung daran.
»Ja, irgendwann hat sie ihre Scheu verloren und hat sehr komische Geschichten aus Kalitken erzählt. Ich kann nur sagen, ich mag sie.« Sie berichtete jetzt ausführlich von ihrem Besuch auf Linderwies, und Elvira dachte bei sich ›Wie schön, dass sie nicht den Dünkel ihrer Mutter hat. So eine Tochter habe ich mir immer gewünscht.‹
»Komm, mein Kind«, sagte sie nach einer Weile. »Ich würde gern ein paar Schritte gehen. Ich möchte noch mehr von der jungen Frau Basedow hören. Jesko fiebert nämlich schon nach den neuesten Nachrichten aus Linderwies.«
In den ersten Wochen besuchte Aglaia ihre Mutter einmal in der Woche auf Wallerstein. Meistens ritt sie allein hinüber, aber manchmal fuhr sie auch zusammen mit Elvira im Einspänner. Jedes Mal hoffte Aglaia, ihren Vater anzutreffen, und war enttäuscht, wenn sie von Kurt hören musste: »Der Herr Graf weilen noch immer in Berlin.« Einige Male fragte sie ihre Mutter nach Tanya, bekam aber immer die gleiche Antwort zu hören: »Wenn es etwas Neues gibt, lasse ich es dich schon wissen.« Meist war Wilhelmine in Gesellschaft einiger Damen, die mit Sticken oder Stricken beschäftigt waren und wenig anderes im Sinn hatten, als sich mit Kuchen und warmen Waffeln vollzustopfen und den neuesten Klatsch auszutauschen.
Heute saßen die Damen auf der Terrasse unter der Pergola. Neben der Kommerzienrätin Heller – Elvira zählte sie bereits zum Inventar des Schlosses – war da noch Frau Professor Koch, deren Mann am Insterburger Gymnasium Altgriechisch lehrte und die der Frau Kommerzienrat an Langeweile in nichts nachstand. Dann die alte Gräfin Von der Hals, die so schwerhörig war, dass man alles mehrmals wiederholen musste, und Hannelore
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