Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
Sie setzte sich mit niedergeschlagenen Augen auf die Kante ihres Stuhles und wartete, was nun kommen würde.
»Na, Marjellchen, nu unterhalt dich mal ein bisschen mit der Frau Gräfin«, forderte ihr Mann sie auf. »Wir Männer haben noch ein paar wichtige Dinge zu besprechen.«
Aglaia hatte gleich bemerkt, wie nervös das junge Mädchen war, und begann deshalb zu fragen: »Frau Basedow, mein Mann hat mir erzählt, Sie sind noch gar nicht so lange auf Linderwies. Woher kommen Sie denn?«
»Aus Kalitken.« Sie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. »Und wenn die Frau Gjräfin mich doch bittschön möcht Minchen nennen«, sagte sie leise. »So nennen mich hier man alle und in Kalitken och.«
»Gern, Minchen.« Aglaia lächelte. »Wie alt bist du denn?«
»Siebzehn, Frau Gjräfin, im Winter werd ich achtzehn.«
»Und wie habt ihr euch kennengelernt, du und dein Mann?« »Aufm Erntefest in Kalitken, bei Baron von Selch, wo mein Muttchen Mamsell is.«
»Soso, und da hat es gleich gefunkt?«
»Ja, das kann man wohl so sagen.« Minchen errötete bis an die Haarwurzeln. Minchen war so schüchtern, dass das Gespräch nur mühsam in Gang kam, und Aglaia sah hilfesuchend zu Eberhard hinüber. Aber der schien nichts zu bemerken. Also fragte sie weiter. »Donnerwetter, und dann habt ihr auch gleich geheiratet?«
Minchens Gesicht glich jetzt einem Feuerball. »Na ja, so schnell nu och wieder nich.«
›Oje‹, dachte Aglaia, ›ich mache es ihr noch schwerer.‹ Sollte sie einfach Eberhard bitten, zu gehen? Sie machte noch einen letzten Versuch. »Also, dann erzähl doch mal, wie war das denn so in Kalitken, und wo hast du so fabelhaft kochen gelernt?«
»Na nu nich doch!«, sagte Minchen, was wohl so viel heißen sollte, ›bei wem denn schon?‹ »Bei meinem Muttchen natürlich!«, und mit einem Mal schienen bei ihr alle Schleusen geöffnet. Sie redete plötzlich wie ein Wasserfall. »Sie is Mamsell beim Baron von Selch. Und wenn ich den Herbert nich hätt kennengelernt, wär ich später auch Mamsell jeworden. Muttchen hat immer gjesagt, Kindchen, das Zeug dazu haste.« Sie nickte bekräftigend mit ihrem Kopf. Aglaia lehnte sich erleichtert zurück. Das Eis war gebrochen. Nun erzählte Minchen von ihrem Vater, der einen kleinen Bauerhof hatte, und ihrem Bruder Paulchen, der als Kind rotzfrech war. »Und mein Omche, die war ja so lieb. Die hat die beste Sülze in Ostpreußen gjemacht, und ’nen Dittchen hat se mir och ab und an gjeschenkt.« Ihr liebes Gesicht wurde plötzlich ganz traurig. »Eines Tages hat se so ’n Zwicken im Gjedärm gjekriegt. Das is och nich besser gjeworden von den Pülverchens vom Doktor. Und gjanz plötzlich war se nich mehr.« Je aufgeregter sie wurde, umso stärker sprach sie ostpreußisch. Sie war nun nicht mehr zu bremsen. »Woll’n Se ma hörn, was Paulchen mal mit Omche gjemacht hat?« Die Erinnerung daran ließ sie kichern. Aglaia konnte gerade noch nicken, da legte das junge Mädchen schon los. »Also Paulchen war man gjerade fünf oder so, da hat der Lorbass dem Omche einen Gjrasbüschel hingjehalten und gjesagt:
›Beiß doch mal rein, Omche.‹
›Wieso Jungche, bist meschugge, ich bin doch keine Kuh.‹
›Nur einmal, Omche‹, hat Paulchen gjebettelt.
›Erbarmerche! Zu was denn bloß?‹, hat Omche nochmal gjefragt.
Woll’n Se wissen, was der Lorbass dann gjesagt hat?«, fragte Minchen. Aglaia nickte amüsiert, und Minchen fuhr fort. »Da sagt das Paulchen doch: Das Vatche hat gjesagt, wenn Oma ins Gjras beißt, kriegen wir ’nen neuen Wagen.«
Nun brach Aglaia in schallendes Gelächter aus. Die beiden Männer wandten sich ihnen zu. »Na, Minchen, hast du da wieder eine von deinen lustigen Geschichten erzählt?«, fragte Basedow amüsiert und zu Aglaia und Eberhard: »Ich kann Ihnen sagen, wenn mein Minchen in Fahrt kommt, wackeln hier die Wände.«
Eberhard erhob sich nun. »Wir sollten jetzt unseren Rundgang machen«, sagte er. »Man erwartet uns zum Tee zurück auf dem Schloss.« Sie verabschiedeten sich freundlich von Minchen, die wieder rot anlief bei den Komplimenten über ihre Kochkünste.
»Bis bald, Minchen«, sagte Aglaia und mit einem verschwörerischen Blick auf das Bäuchlein. »Ich bin sehr gespannt, was es diesmal wird.«
Als sie über den Hof gingen, kam ihnen langsam ein großer Hund entgegen, ein dunkler Labrador mit einem dicken Bauch. Er begrüßte sein Herrchen schwanzwedelnd. »Da bist du ja, mein Mädchen«, sagte Basedow und
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