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Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Titel: Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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strich dem Kleinen auf dem Arm seiner Frau liebevoll über den Kopf »Und das ist unser Lenchen.« Er sah seine Frau zärtlich an. »Na ja, und in fünf Monaten ist es dann wieder so weit.«
    ›Sie ist ja selbst fast noch ein Kind‹, dachte Aglaia. ›Wie alt sie wohl sein mag?‹
    Minchen lächelte etwas verlegen und begrüßte Aglaia mit einem Knicks: »Tachchen, Frau Gjräfin, und herzlich willkommen auch, wenn Sie denn man reinkommen möchten.« Sie ging ihnen voran in die gute Stube. Es roch ein klein wenig muffig, trotz der weit geöffneten Fenster, an denen blütenweiße Spitzengardinen hingen. Offensichtlich wurde das Zimmer nur zu besonders feierlichen Gelegenheiten benutzt, denn es wirkte auf Aglaia irgendwie unbewohnt. Um einen großen, blank polierten Holztisch stand eine mit grünem Plüsch bezogene Sitzgruppe, und auf den Armlehnen von Sesseln und Sofa lagen gehäkelte weiße Schondeckchen. An der Decke prangte ein fünfarmiger Kronleuchter mit dicken Kerzen, über die nach oben offene Gläser gestülpt waren. Ein großer Kachelofen in der hinteren Ecke des Raumes versprach eine gemütliche Wärme für den Winter. Auf einer mit Schnitzereien verzierten Kommode stand ein großer Feldblumenstrauß und daneben einige kleine Nippesfiguren sowie ein etwas größerer Hund aus Porzellan. Ein einziges Gemälde, eine Landschaft in pompösem Goldrahmen, zierte die Wand über dem Sofa.
    Der Tisch bog sich unter Pasteten, Blut- und Leberwürsten, einem warmen Schinken mit Kruste, daneben eine Schüssel voll Salat mit Schmantsoße. Es roch nach frisch gebackenem Brot und gerade gebrühtem Kaffee. ›Mein Gott, wer soll das bloß alles essen‹, dachte Aglaia, aber sie verwarf diese stille Frage gleich wieder. Sie wusste ja, in Ostpreußen musste immer alles im Überfluss da sein.
    »Bitte nehmen Sie doch Platz«, forderte Basedow sie auf, »und greifen Sie kräftig zu. Es ist reichlich da.« Aglaia nahm sich eine dicke Scheibe Schinken und einige Löffel von dem Schmantsalat. Nachdem Minchen das Kleinkind in einen Laufstall gesetzt hatte, war sie in ständiger Bewegung, immer in Sorge, dass ihre Gäste womöglich nicht satt werden könnten. »Nehmen Sie doch noch etwas hiervon. Darf ich Ihnen noch einen Kaffee einschenken, oder möchten Sie lieber Saft?« Wenn sie ihre Gäste nicht bedrängte, noch etwas nachzunehmen, war sie damit beschäftigt, das Baby zu beruhigen oder Mäxchen davon abzuhalten, die Nippesfiguren zu zerstören oder die Schondeckchen von den Lehnen zu ziehen. Ein paar ihrer nach hinten gebundenen blonden Locken fielen ihr in das erhitzte Gesicht, und sie sah wirklich entzückend aus. Die Männer hatten versucht, eine Unterhaltung anzufangen, wurden aber immer wieder von dem aufgeregten Minchen unterbrochen, die doch nur versuchte, alles richtig zu machen.
    »So, Minchen«, sagte Basedow nach einer Weile, »jetzt bring man die Kinderchen zu Gertrud in die Küche und setz dich zu uns. Wir haben ja nu man rein gar nuscht von dir.«
    Die junge Frau lief rot an.
    »Soll ich Ihnen helfen, Frau Basedow?« Aglaia sah sie fragend an.
    »Ja nu ne nich!«, sagte Minchen entsetzt. Das fehlte noch, dass die Frau Gjräfin …! Fluchtartig verließ sie mit den inzwischen laut brüllenden Kindern das Zimmer.
    Basedow musste lachen. »Ich bitte Sie, meine Frau zu entschuldigen«, sagte er. »Es ist das erste Mal, dass wir so hohen Besuch haben. Sie ist seit Tagen schrecklich aufgeregt, hat gekocht und gebacken … na ja, wie das man eben so ist. Sie wollte natürlich alles so gut wie möglich machen.«
    »Nun lassen Sie es man gut sein«, beruhigte Eberhard seinen Oberinspektor. »Ihre Frau hat sich so viel Mühe gegeben.«
    »Ja, und alles hat wunderbar geschmeckt«, fiel ihm Aglaia ins Wort. Ihr Mieder fing bereits an, unangenehm zu zwicken. Basedow bot Eberhard nun eine Zigarre an, dann goss er zwei Schnapsgläser voll. Nachdem sie sich zugeprostet hatten, sagte Eberhard: »Verzeihst du mir, Aglaia, wenn Basedow und ich ein wenig zusammen fachsimpeln?«
    »Wenn ich auch einen Schnaps bekomme, verzeihe ich euch alles«, lachte Aglaia. »Ich habe wirklich zu viel gegessen.« Die Männer begannen nun ein Gespräch über ihre Schweinezucht, während Aglaia sich entspannt zurücklehnte und nur mit halbem Ohr zuhörte. Nach kurzer Zeit betrat Minchen wieder die Stube. Ihre aufgelösten Haare hatte sie unter einer kleinen weißen Haube versteckt und die Schürze abgelegt. Sie sah proper und strahlend hübsch aus.

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