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Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Titel: Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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und Elvira. »Tante Elvira ist so anders als Mama. Ich weiß, Tanya, es ist nicht recht, aber ich habe sie langsam viel lieber als meine Mutter. Ist das nicht traurig?« Und sie erzählte von der Hochzeitsreise, die Eberhard und sie, wenn die Ernte eingebracht war, planten. »Wir wissen noch nicht genau wohin. Aber bis dahin bist du ja wieder bei uns.«
    Wenn sie zurück zu Eberhard ins Bett schlüpfte, fragte er schlaftrunken: »Na, hast du wieder mit deinen Sternen gesprochen?« Dann legte sie ihm sanft ihre Finger auf den Mund und flüsterte: »Schlaf weiter, Liebling. Ich habe Tanya nur Gute Nacht gesagt.«
    Eines Morgens, Aglaia war mit Eberhard nach Linderwies geritten, um beim Zureiten der Jungpferde zuzusehen, wurde ihr übel. »Ich fühle mich nicht gut, Eberhard, geh du nur schon vor. Ich werde Minchen Basedow um ein Glas Wasser bitten und mich kurz bei ihr ausruhen.«
    »Es wird die Hitze sein, Liebes. Und du bist auch wieder geritten wie der Teufel.« Er gab ihr einen Kuss. »Also bis später.«
    Als sie die Treppe zum Haupthaus hinaufging, kam Minchen ihr schon entgegen. »Sie sehen ja janz koddrich aus, Frau von Kaulitz.« Sie hatten sich bei Aglaias letztem Besuch auf diese Anrede geeinigt. »Is Ihnen nich jut?«
    »Nein, Minchen, mir ist speiübel. Kann ich mich einen Moment hinlegen? Es wird sicher gleich wieder.«
    »Ja, natürlich.« Minchen war einen Moment lang ratlos. Wohin bloß mit der feinen Gräfin? Dann hakte sie Aglaia resolut unter und sagte: »Na, dann kommen Se man mit in die Schlafstube.« Sie verschwand für ein paar Minuten und kam mit einem Glas Wasser und einem Eimer wieder, den sie neben das Bett stellte. »Wenn Se sich überjeben müssen …«, sagte sie und dann: »Habn Se dat öfter, ich meine morjens?«
    »Nun ja, erst in der letzten Zeit. Ich weiß auch nicht, vielleicht bekommt mir der Kaffee nicht mehr.«
    Minchen lachte laut auf. »Ach Quatsch … dat is nich der Kaffee. Sie sind schwanger! Dat sieht doch en Blinder mit ’nem Krückstock!«
    Aglaia blickte das lachende Minchen fassungslos an. »Wie willst du das denn wissen?«
    »Weil dat bei mir gjenauso war. Bei allen drei Kinderchens. Aber immer nur in der ersten Zeit. Nach zwei bis drei Monaten is es vorbei.« Sie legte ihre Hände auf ihren runden Bauch. »Jetzt fühl ich mir pudelwohl.«
    Eberhard war außer sich vor Glück. Ganz traute er allerdings Minchens Diagnose nicht. Deshalb wurde sein Freund, der junge Doktor Grüben, gerufen, der die freudige Nachricht bestätigte. »Übelkeit am Morgen ist in den ersten Wochen der Schwangerschaft ganz normal«, erklärte er den besorgten Eltern in spe. »Aber das vergeht bald. Nur Aglaia, du solltest dich mit der wilden Reiterei ein wenig zurückhalten. Und es vorsichtshalber in ein paar Wochen lieber ganz lassen.« Davon war Aglaia nun weniger begeistert, aber die Freude tröstete sie schnell darüber hinweg.

August 1849

    A usgerechnet an diesem Tag setzten bei Tanya die Wehen ein. Schon bei ihrem nachmittäglichen Spaziergang im Garten sagte sie: »Mir ist nicht wohl, Agnes. Ich habe so ein merkwürdiges Ziehen im Bauch. Ich glaube, mein Kindlein wird bald kommen.« Nach der abendlichen Vesper wurden die Wehen stärker, und die Äbtissin schickte Schwester Agnes ins nächste Dorf, um die Hebamme zu holen. Dann gab sie Anweisung, Wasser heiß zu machen und saubere Tücher bereitzulegen, und ging in die Kapelle, wo sie in stillem Gebet verharrte. »Himmlischer Vater, halte deine schützende Hand über das arme Kind«, murmelte sie. »Lass sie und ihr Kind einen Platz finden, wo sie in Frieden miteinander leben können.«
    Agnes riss sie aus ihrer Andacht. »Frau Äbtissin«, flüsterte sie, »die Hebamme ist jetzt da. Ich hab sie schon zu Tanya gebracht.« Zusammen eilten sie zu Tanyas Zelle. Schon von weitem hörten sie lautes Stöhnen. Das Gesicht der Äbtissin war bleich, aber sonst verriet nichts, was in ihr vorging. Nur der Rosenkranz, der unablässig durch ihre Finger glitt, zeigte den Grad ihrer Erregung. Leise betraten sie die Zelle. Das zarte, blutleere Gesichtchen von Tanya war schweißnass, und ihre roten Locken lagen wie ein feuchter Fächer auf dem weißen Kissen. Ihre Lider flatterten über den halb geschlossenen Augen, und die kleinen Hände wanderten unruhig über die Bettkanten. Agnes kniete sich neben das Kopfende und wischte ihr mit einem feuchten Tuch den Schweiß aus dem Gesicht. Tanya öffnete die Augen, und ein Lächeln erhellte ihre

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