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Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Titel: Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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schmerzverzerrten Züge.
    »Wie schön, dass du da bist, Agnes«, flüsterte sie. »Geh nicht wieder weg. Bitte bleib bei mir.« Fragend sah Agnes die Äbtissin an. Die nickte schweigend.
    Dann wandte sie sich an die Hebamme. »Wie sieht es aus, wird es noch lange dauern?«, fragte sie leise.
    »Ich fürchte, noch ’ne ganze Weile. Die Wehen sind noch sehr schwach, und das junge Ding is man nich sehr kräftig.« Mit bedenklicher Miene fügte sie hinzu. »Dann wolln wer man hoffen, dass alles gut geht.«
    Die Äbtissin fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Immer wieder schreckte sie hoch von den lauten Schreien der Gebärenden. Dann sandte sie Gebete zu Gott, er möge das arme Kind beschützen, so sehr war ihr Tanya ans Herz gewachsen. Der Morgen graute bereits, als sie kurz einnickte. Das Schreien hatte aufgehört. Aber ein anderes Geräusch ließ sie plötzlich aufhorchen – das leise Weinen eines Kindes. Nur notdürftig bekleidet stürzte sie in Tanyas Zelle. Da lag sie, ein fast überirdisches Lächeln im Gesicht und ein rosiges kleines Wesen im Arm. Neben ihr saß Agnes, völlig übernächtigt und leise weinend. Es waren Tränen der Erleichterung und des Glücks.
    Die Hebamme zog die Äbtissin leise aus dem Raum. »Das Kind is zwar en bisschen mickrig, aber, soweit ich es feststellen konnte, kerngesund. Aber das Marjellchen …«, sie wiegte den Kopf. »Die Geburt war sehr anstrengend für sie. Und sie hat Unmengen von Blut verloren. Ich weiß nicht, ob sie überleben wird. Ich jedenfalls kann nuscht nix mehr für sie tun.«
    Es war am Tag danach. Wilhelmine hatte wieder die ganze Nacht ›im eigenen Saft‹ gelegen, wie sie sich auszudrücken pflegte, wenn sie die Begleiterscheinungen der Wechseljahre mit Hitzewellen plagten. Sie saß im Frühstückszimmer, als sie fremde Stimmen hörte. Erstaunt sah sie zur Wanduhr. Sollte das etwa schon die Klühspieß sein? Wilhelmine hatte einige Kleider zur Anprobe bestellt. Aber doch nicht um diese Uhrzeit!
    Kurt erschien mit einem Brief auf dem Silbertablett. »Ein Bote für die Frau Gräfin. Er erwartet eine sofortige Antwort.«
    Der Blick auf den Absender zeigte Wilhelmine, dass es dringend war. »Gib dem Mann in der Küche etwas zu trinken«, sagte sie. »Ich werde sofort eine Antwort schreiben.« Bei der Lektüre des Briefes verlor ihr Gesicht alle Farbe. Die Äbtissin schrieb:
    Liebe Wilhelmine,
    ich muss Dir leider mitteilen, dass Gott Deine Nichte Tanya heute bei der Geburt ihres Kindes zu sich gerufen hat. Das Neugeborene ist ein Mädchen, zwar sehr zart, aber wie mir die Hebamme versichert, bei bester Gesundheit. Bitte teil mir unverzüglich mit, was mit dem Leichnam und dem armen Waisenkind geschehen soll. Ich bin sicher, dass es Dir Deine Christenpflicht empfiehlt, es zu Dir zu nehmen. Wir können es hier nicht behalten und müssten es bis zu einer späteren Adoption in ein Waisenhaus geben. Dafür brauche ich allerdings Deine schriftliche Einwilligung. Für Deinen inneren Frieden, überleg Dir Deine Entscheidung gut.
    Gott sei mit Dir.
    Äbtissin Christine von Lerchenfeld
    P.S. Tanya war sehr tapfer. Ich hatte sie sehr in mein Herz geschlossen.
    »Ist Ihnen nicht gut, Frau Gräfin?«, fragte Kurt, als Wilhelmine sich heftig atmend an die Brust fasste. »Ist etwas mit dem Herrn Grafen?«
    »Nein, nein«, wehrte Wilhelmine unwirsch ab. »Ich werde in mein Boudoir gehen und für den Boten eine Note schreiben.« Ihre Nachricht war kurz:
    Liebe Christine,
    Deine Nachricht hat mich tief erschüttert. Ich hoffe, Tanya kann bei Euch ihre letzte Ruhe finden. Was das Kind angeht, gibt es bei uns für es keinen Platz. Ich überlasse Dir zu tun, was Du für richtig hältst. Mein Einverständnis für eine Adoption hast Du hiermit.
    Ich danke Dir für Deine Hilfe.
    Wilhelmine von Wallerstein
    Bevor sie den Umschlag versiegelte, legte sie noch eine größere Summe bei. Dann verbrannte sie den Brief der Äbtissin und streute die Asche aus dem Fenster. Sie zitterte am ganzen Körper und war sehr aufgewühlt. War es Genugtuung, Erleichterung oder auch ein wenig schlechtes Gewissen? Nachdem sie halbwegs ihre Fassung wiedererlangt hatte, klingelte sie nach dem Diener. »Gib das dem Boten«, sagte sie. »Ich erwarte keine Antwort.« Dann legte sie sich auf die Recamière, um sich etwas zu beruhigen. ›Wie bringe ich es bloß Aglaia bei … und wie wird Horst es aufnehmen?‹ Er wurde am Wochenende zurückerwartet. Es blieben ihr noch drei Tage! Ihr war gar nicht wohl dabei.
    Kurz

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