Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Titel: Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
Vom Netzwerk:
darauf meldete Kurt: »Frau Klühspieß wäre jetzt da. Soll ich sie heraufbitten?«
    »Ja, ja, natürlich … und Gerda soll auch kommen, sie muss mir beim Umkleiden behilflich sein.« Ein Blick in den Spiegel sagte ihr, dass sie schrecklich derangiert aussah. Hastig brachte sie ihre Frisur in Ordnung und bestäubte sich das schweißnasse Gesicht mit Puder. Aber es half nichts. Die Klühspieß sah sofort, dass etwas nicht in Ordnung war.
    »Liebste Gräfin, ist Ihnen nicht wohl … soll ich ein andermal wiederkommen?«
    »Nein, bleiben Sie nur.« Wilhelmine fächelte sich hektisch Luft zu. »Ich habe soeben eine sehr traurige Nachricht erhalten.« Sie tupfte sich mit ihrem Taschentuch die Augen. »Meine geliebte Nichte Tanya … Sie wissen, sie war wegen ihrer angeschlagenen Gesundheit seit Monaten in einem Sanatorium.« Sie bemühte sich, erschüttert auszusehen. »Sie ist gestern verstorben …« Wilhelmine wusste, diese Nachricht würde von der Schneiderin in Windeseile unter die Leute gebracht werden. »Ich bin in tiefster Trauer.« Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Gerda sich entsetzt die Hände vor das Gesicht schlug. Damit war also auch das Schloss informiert.
    »Ach Gottchen, Gräfin, was für eine Tragödie. Das ist ja ganz schrecklich. Mein herzliches Beileid!«, rief die Schneiderin.
    In diesem Moment kam Aglaia gefolgt von Elvira ins Zimmer. Sie hatten beschlossen, auf der Heimfahrt von Insterburg kurz bei Wilhelmine vorbeizuschauen, um zu fragen, ob es Neuigkeiten von Tanya gäbe. Als Aglaia sah, wie verwirrt ihre Mutter wirkte, verschwand das strahlende Lächeln von ihrem Gesicht. »Mama, was ist passiert, ist etwas mit Papa?« Entgeistert sah Wilhelmine ihre Tochter an. Was wollte sie denn heute schon wieder hier? Sie war doch kürzlich erst da gewesen. Für einen Moment war sie unfähig zu sprechen. In die Stille hinein sagte Frau Klühspieß: »Nein, es ist nichts mit Ihrem Vater. Es ist man bloß Ihre Cousine.«
    Elvira legte den Arm um die leichenblasse und schwankende Aglaia. Man sah, dass sie einer Ohnmacht nahe war. Ihre Stimme zitterte »Was ist mit Tanya, Mama? Nun sag schon! Und was ist mit ihrem Kind?«
    Frau Klühspieß traute ihren Ohren nicht. Was war denn das für eine Neuigkeit? Sie versuchte sich unsichtbar zu machen. Das war ja wirklich zu spannend. Wilhelmine war auf die Recamière gesunken und schnappte nach Luft. Das Einzige, woran sie denken konnte, war, dass die Klühspieß nun Zeugin dieser entsetzlichen Szene wurde und keinen Moment zögern würde, das im ganzen Landkreis zu verbreiten. Was für ein Skandal!
    Elvira war die Einzige, die die Nerven behielt. »Würden Sie uns bitte allein lassen«, wandte sie sich an Gerda und die Schneiderin, die wie versteinert in dem Raum standen. Dann fragte sie in scharfem Ton: »Was höre ich da, Wilhelmine? Was ist passiert? Nun red schon! Und was ist mit ihrem Kind?«
    Wilhelmine richtete sich jetzt langsam auf. Ihre Stimme war nur noch ein Krächzen. »Die Äbtissin hat mir heute per Boten mitgeteilt, dass Tanya und ihr …« – fast hätte sie Bastard gesagt – »… ihr Kind die Geburt nicht überlebt haben.« Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie: »Wahrscheinlich ist das für alle Beteiligten das Beste.«
    Aglaia starrte ihre Mutter entsetzt an. Einen Augenblick lang herrschte Totenstille. Dann stand Aglaia auf. »Mir ist nicht gut, Tante Elvira«, sagte sie mit tonloser Stimme. »Würdest du mich bitte nach Hause bringen?« Ohne ihre Mutter eines Blickes zu würdigen, verließ sie das Zimmer.
    Einen Tag danach, ein heftiges Sommergewitter fegte über das Land, hielt eine Kutsche vor dem Kloster. Eine ältere hagere Frau in einer schwarzen Pelerine und mit breitkrempiger Schute auf dem Kopf betrat die Halle. Schwester Agnes empfing sie blass und mit verweinten Augen. »Die Frau Äbtissin erwartet sie«, sagte sie leise. »Ich bringe Sie zu ihr.«
    »Vielen Dank, dass Sie so schnell kommen konnten«, begrüßte Christine von Lerchenfeld die Frau. »Wir konnten noch keine Amme finden.«
    Die Frau schlug die Krempe der Schute zurück und blickte in den kleinen Korb, im dem das Neugeborene friedlich schlief. »Nun, das sollte kein Problem sein«, sagte sie. »Aber sehr kräftig sieht es mir ja man nicht aus. Wollen Sie benachrichtigt werden, falls es nicht …«
    »Nein, nein …«, die Äbtissin sah zu Agnes hinüber, die mit dem Rücken zu ihnen am Fenster stand und deren leises Weinen von dem Geräusch des an die Scheiben

Weitere Kostenlose Bücher