Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
wirklich eine wunderschöne Zeit.« Sein eben noch strahlendes Gesicht umwölkte sich. »Es war so unbeschwert …«
»Wie lange waren Sie denn dort?«, fragte jetzt Aglaia.
»Zwei Jahre. Ich habe in Oxford studiert und hatte das Privileg, meine Ferien und auch die Wochenenden auf dem Schloss meines Onkels, Lord Ashleighton, zu verbringen. Er ist der Bruder meiner Mutter.«
»Soso, dann sind Sie doch sicher ein guter Reiter?«, fragte Jesko interessiert.
»Ich bin ein begeisterter Reiter«, antwortete Clemens. »Aber leider habe ich momentan keine Gelegenheit dazu.«
»Warum besuchen Sie uns nicht einmal am Wochenende«, lud ihn Eberhard ein, »wir haben genügend Pferde.«
»Mit dem allergrößten Vergnügen …«, stammelte der junge Mann verlegen. »Sie sind wirklich zu gütig. Ich hoffe, es ist Ihnen recht, Graf Kaulitz?«
»Aber natürlich«, nahm ihm Elvira das Wort aus dem Mund. »Mein Mann hofft schon insgeheim, in Ihnen einen Schachpartner zu finden oder wenigstens einen vierten Mann zum Whist. Ich bin nämlich nicht gerade eine begeisterte Kartenspielerin, und mein Schach ist lausig.«
Nach dem Abendessen verabschiedete sich Clemens. »Es ist schon spät, und ich muss für morgen noch einige Hefte durchsehen.«
»Schade«, meinte Jesko, »ich hätte Sie gern noch zu einer Partie Whist eingeladen. Aber besuchen Sie uns doch am nächsten Wochenende, dann können wir das nachholen.«
»Mit dem größten Vergnügen, und noch einmal herzlichen Dank für den wunderschönen Abend.«
Bald war Clemens von Mühlau aus Birkenau nicht mehr wegzudenken. Neben den Unterrichtstunden mit Elvira, an denen nun auch Aglaia teilnahm, verbrachte er fast jedes Wochenende im Kreis der Familie und deren Freunde. Er erwies sich als charmanter Gesellschafter, spielte exzellent Schach und Whist und ritt wie der Teufel. Eberhard schätzte seinen Pferdeverstand und fragte ihn oft um Rat in züchterischen Dingen. Eines Tages waren sie zusammen nach Linderwies geritten. »Ich muss dir unbedingt einen Wallach zeigen«, hatte Eberhard erklärt. »Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich ihn verkaufen oder für die Zucht behalten soll. Man hat uns eine ungeheure Summe für ihn geboten.«
»Donnerwetter«, sagte Clemens, als sie an der Koppel standen. »Das ist ja wirklich ein Prachtexemplar, gute Knochen und doch viel Adel. Einen schönen Hals hat er und fabelhafte Bewegungen. Ich würde dir raten, ihn für die Zucht herzunehmen.«
»Danke, mein Lieber.« Eberhard klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Ich werde ihn behalten. Übrigens, Clemens, mir geht schon eine ganze Weile etwas durch den Kopf. Willst du nicht deine Stelle an der Schule aufgeben und nach Birkenau kommen? Ich bin mit der Leitung von Linderwies und Schernuppen reichlich beschäftigt. Du könntest mir bei der Pferdezucht eine große Hilfe sein, und auch fehlt mir oft die Zeit, die Abrechnungen zu überprüfen. Selbstverständlich bekämst du ein angemessenes Salär.«
»Ich danke dir von ganzem Herzen, Eberhard«, sagte Clemens, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte. »Aber sei mir bitte nicht böse, wenn ich dein großzügiges Angebot ablehne.« Wieder schwieg er einen Moment. »Ich bin dir und deiner Familie unendlich dankbar, für alles. Ihr habt mein Leben wieder lebenswert gemacht und mir ein neues Zuhause gegeben. Und bitte verzeih, wenn ich dir das so offen sage, ich fühle mich dir so nah wie einem Bruder. Aber erstens verstehe ich nichts von der Verwaltung, ich wäre also bei finanziellen Dingen keine große Hilfe, und außerdem – verzeih noch einmal – möchte ich meine Unabhängigkeit nicht verlieren.«
»Schade. Ich bin natürlich ein wenig enttäuscht, aber böse kann ich dir gar nicht sein, und selbstverständlich akzeptiere ich deine Entscheidung. Komm, lass uns nach Hause reiten, man erwartet uns sicher schon.«
Clemens hatte sich in den letzten Wochen sehr zu seinem Vorteil verändert. Sein schönes männliches Gesicht hatte durch die langen Ausritte in der Herbstsonne seine krankhafte Blässe verloren und war dank der guten Küche Herthas etwas voller geworden. Aglaia fühlte sich auf eine seltsame Weise zu ihm hingezogen. Seine Traurigkeit, die er auch in den fröhlichsten Runden nicht verlor, erinnerte sie an Tanya. Manchmal begleitete er sie auf ihren Spaziergängen mit Paulchen und Bello, bei denen sie ihr Verlangen nach frischer Luft stillte, da ihr das geliebte Ausreiten strengstens untersagt war.
»Hast du keine
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