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Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Titel: Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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über in kleine Puffärmel, und aus dem weiten, bauschigen Rock sah man die Spitzen ihrer rosa Satinschuhe. Ihr Haar war an den Seiten zu dicken Schnecken geflochten, und als einzigen Schmuck trug sie Ohrringe aus rosa Südseeperlen, ein Geschenk ihres Onkels zu ihrem sechzehnten Geburtstag.
    »Du siehst einfach hinreißend aus«, sagte Aglaia. »Egbert soll tot umfallen, wenn er dir jetzt keinen Antrag macht!«
    »Du übertreibst«, Tanya errötete leicht. »Sieh doch selbst in den Spiegel. Du siehst erst recht umwerfend aus.«
    Aglaia trug ein tief dekolletiertes Abendkleid aus zartgelber Spitze, unterlegt mit gelbem Taft. Die dunklen Locken waren zu einer kunstvollen Hochfrisur aufgetürmt, in die kleine Schleifen aus gelben Seidenbändern gesteckt waren. Um den Hals trug sie ein zweireihiges Collier de Chien aus weißen Perlen. Während sie die langen gelben Glacéhandschuhe überstreifte, fragte sie: »Hast du meinen Fächer gesehen, Tanya?« Nach kurzem Suchen war er gefunden, verdeckt von Unterröcken und achtlos abgelegten Kleidern. Das immer lauter werdende Stimmengewirr von unten, vermischt mit dem Stimmen der Instrumente des Orchesters ließ Aglaia aufhorchen. »Komm, Tanya, wir müssen gehen. Du weißt, wie sehr Papa Unpünktlichkeit hasst.«
    Tanya, erschreckend blass, tupfte noch schnell etwas Rouge auf ihre Wangen. »Ja, ich komme«, rief sie, »aber lass uns, ehe wir hinuntergehen, durch die Balustrade schauen. Ich will sehen, ob Egbert schon da ist.«
    Wie zwei kleine Mädchen hockten sich die beiden hinter das Geländer der großen Treppe und blickten auf die elegante Gesellschaft hinunter. Es war ein wahrlich festliches Bild. Alle Damen in großer Toilette, die Herren in Frack oder Uniform. Schmuck und Orden blitzten um die Wette. Lakaien servierten auf silbernen Tabletts eisgekühlten Champagner. Es herrschte eine heitere Stimmung. Die meisten kannten sich, die Begrüßung war laut und herzlich. »Sieh nur, da, neben der Tür zum Speisesaal, steht Egbert. Sieht er nicht wunderbar aus?«, flüsterte Tanya aufgeregt.
    »Ja, natürlich sehe ich ihn.« Aglaia lächelte. Sie fand, dass er, hochgewachsen wie er war, eher einem in die Höhe geschossenen Knaben glich als einem richtigen Mann. Er hatte ein hübsches, sehr blasses Gesicht, lange Wimpern und um den Mund einen weichen Zug. Er trug Uniform und war in ein angeregtes Gespräch mit einem etwa gleichaltrigen jungen Mann in Zivil vertieft. Er war genauso groß wie Egbert, hatte breite Schultern, eine schlanke Taille und schmale Hüften. Sein Frack saß perfekt. Sein Gesicht war schmal mit ebenmäßigen Zügen und bis auf einen gepflegten Oberlippenbart glatt rasiert. Eben lachte er laut auf und entblößte eine Reihe ebenmäßiger Zähne. »Wer ist das da bei Egbert?«, flüsterte nun Aglaia. »Er kommt mir irgendwie bekannt vor, und sieh dort, da sind Gustav und Mathias Goelder aus Weischkehmen.«
    Aber Tanya war bereits aufgesprungen. »Komm, nun lass uns endlich gehen. Ich kann es kaum erwarten, Egbert zu sehen.« Unauffällig mischten sie sich unter die Gäste. Aglaia war heilfroh, dass ihr Vater ihre verspätete Ankunft offensichtlich nicht bemerkt hatte. Artig nach rechts und links grüßend, bewegten sie sich zielstrebig auf die jungen Männer zu.
    »Ach du bist das, Eberhard!«, lachte Aglaia auf, als sie endlich vor den beiden stand. »Ich habe dich als schlaksigen Knaben in kurzen Hosen und mit aufgeschlagenen Knien in Erinnerung, der kleine Mädchen auf den Tod nicht ausstehen konnte.«
    »Nun, mit den Mädchen hat sich das ein bisschen geändert«, gab er lachend zurück. »Vor allem wenn aus denen eine so schöne Frau geworden ist wie du.«
    Aglaia errötete. »Na, na, nun übertreib mal nicht so«, sagte sie verlegen, wurde aber sofort abgelenkt von der Ankunft der Baronin von Welser. »Ist das nicht Tante Elvira?«, fragte Aglaia überrascht. Auch Tanya wollte ihren Augen kaum trauen.
    »Sie sieht unglaublich aus verglichen mit letzter Woche in ihrer Witwentracht und mit schwarzer Schute auf dem Kopf.« Tatsächlich war sie kaum wiederzuerkennen. Das in der Mitte gescheitelte blonde Haar war seitlich zu dicken Korkenzieherlocken gedreht. Das taubenblaue, reich bestickte Seidenkleid betonte ihre schmale Taille und zeigte ein üppiges Dekolletee, und der prachtvolle Saphirschmuck am Hals und an den Ohren harmonierte perfekt mit dem leuchtenden Blau ihrer Augen.
    »Was für eine Wandlung«, flüsterte Aglaia ihrer Cousine ins Ohr.

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