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Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Titel: Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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Mutter zu sehen. Der kühle und kurze Brief Wilhelmines hatte Aglaia verstimmt.
    Doch sie nickte ergeben. »Ein Pflichtbesuch, ja«, sagte sie. »Mehr ist es aber auch nicht.«
    »Gut, ich werde deiner Mutter eine kurze Note schicken, dass wir übermorgen um drei Uhr zum Tee bei ihr sind.« Sie sagte Aglaia nicht, dass sie vorhatte, Wilhelmine für Weihnachten nach Birkenau einzuladen, hoffte sie doch inständig, dass Mutter und Tochter sich wieder etwas näherkommen würden.
    Es war ein strahlender Wintermorgen, als Josef sie zur Bahn nach Insterburg fuhr. Eingehüllt in Felldecken, Pelzmützen auf dem Kopf und die Hände in Muffs, genossen sie die Fahrt. Nur das leise Klingeln der Glöckchen und hin und wieder ein Schnauben der Pferde unterbrachen die lautlose Stille. Das ganze Land schien zu schlafen unter einer dicken weißen Decke. Die Dächer der Häuser am Wegesrand sahen aus wie kleine weiße Hügel, und die Äste der kahlen Bäume waren von Raureif überzogen. Die beiden Frauen schwiegen. Noch am Vorabend hatte Aglaia geschwankt, ob sie mit Elvira mitfahren sollte. »Ich habe überhaupt kein Verlangen, Mama zu sehen«, hatte sie zu Eberhard kurz vor dem Einschlafen gesagt. »Ich weiß, es ist nicht recht, aber ich habe Tante Elvira tausendmal lieber als sie.«
    »Sie ist nun mal deine Mutter, Liebes. Geh hin, dann kann sie dir keine Vorwürfe machen.«
    Doch heute versetzten die klare Luft und der Geruch der dampfenden Pferde Aglaia in heitere Stimmung. Sie legte ihren Kopf auf die Schulter ihrer Tante. »Sieh nur den herrlichen Himmel, diese Weite … und irgendwo da oben schwebt meine Tanya.« Aber die leise Wehmut dauerte nur einen Moment. »Übrigens«, sie wurde jetzt ganz aufgeregt, »ich habe noch gar kein Geschenk für Clemens. Was hältst du von einer Krawattennadel?«
    »Eine gute Idee. Dann kaufe ich den passenden Binder dazu«, rief Elvira. »Der Junge kann sicher beides gut gebrauchen.«
    In den Straßen Königsbergs herrschte lebhaftes vorweihnachtliches Treiben, ein jeder schien es eilig zu haben. Die Geschäfte waren voll, und überall mussten sie warten, bis sie bedient wurden. Ihre letzte Station war der Juwelier Hirsch, wo der Besitzer sie gleich persönlich begrüßte: »Ah, was für eine Freude, die Gräfinnen Kaulitz. Sie wollen sicher die Manschettenknöpfe für den jungen Grafen abholen.« Er verschwand im hinteren Raum und erschien gleich wieder mit Elviras Bestellung – prachtvollen in Weißgold gefassten Saphiren.
    »Meinst du, dass sie Eberhard gefallen werden?«, fragte Elvira Aglaia erwartungsvoll.
    »Da bin ich mir ganz sicher! Sie sind wunderschön, Tante Elvira.«
    »Meine Schwiegertochter braucht auch noch ein Geschenk«, wandte sich Elvira nun an den Juwelier. »Zeigen Sie uns doch bitte ein paar Krawattennadeln.«
    Eine kostbare weiße, tropfenförmige Perle an einer silbernen Nadel in einem mit Samt ausgelegten roten Lederkästchen erregte sofort Aglaias Entzücken. »Die nehme ich! Bemühen Sie sich nicht weiter, Herr Hirsch.« Die Standuhr in dem Geschäft schlug drei Mal.
    »Das ging ja schnell«, sagte Elvira, »wir müssen uns nämlich ein wenig beeilen, Aglaia. Ich habe uns um drei Uhr bei deiner Mutter angesagt. Du weißt, wie sie Unpünktlichkeit hasst.«
    »Ja, bei anderen …«
    Der Diener öffnete die Tür. »Frau Gräfin bedauert sehr, Sie nicht selbst empfangen zu können. Sie bittet Sie, einen Moment zu warten«, sagte er. »Frau Gräfin ist bei einem Empfang der Fürstin Karamowa, die nur für ein paar Tage in der Stadt ist. Ich habe den Tee im Salon …«
    Elvira, die bereits ihren Hut abgelegt und den Pelz ausgezogen hatte, erstarrte. »Danke, Franz. Bitte helfen Sie mir wieder in meinen Mantel. Wir werden den Tee im Berliner Hof nehmen.« Eilig streifte sie ihre Handschuhe über. »Und richten Sie der Gräfin aus, dass wir wohl in der nächsten Zeit nicht mehr nach Königsberg kommen. Wir werden uns also eine Weile nicht sehen.« An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Meine Schwiegertochter und ich wünschen der Gräfin ein frohes Weihnachtsfest.« Elvira kochte. Wie konnte Wilhelmine sie nur wegen einer Fürstin Karamowa warten lassen? Und wer war das überhaupt? »Sei nicht traurig, Liebes …«, sagte sie nun zu Aglaia, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinanderher gegangen waren. »Ich weiß nicht, was sich deine Mutter dabei gedacht hat. Ich finde es jedenfalls äußerst befremdlich, uns zu versetzen wegen …«
    »Mach dir keine

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