Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
Sorgen, Tante Elvira. Ich bin nicht traurig.« Aglaia schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, passt das zu dem Bild, das ich inzwischen von meiner Mutter habe.«
In der Halle des Berliner Hofs herrschte reges Treiben. Fast alle Tische waren besetzt. Man hatte gut eingeheitzt und die Luft war dicht vom Tabakrauch und den Parfüms der Damen. Das Gemurmel der Gäste wurde hin und wieder durch das laute Lachen einer Dame unterbrochen.
»Elvira, Aglaia!«, hörten sie plötzlich die Stimme von Louise, die ihnen aus einer versteckten Nische zuwinkte »Kommt, setzt euch zu mir.« Ein Diener eilte herbei, um ihnen die Mäntel abzunehmen. Aglaia ließ sich schwer atmend in den weichen Sessel sinken. »Ich bin ganz schön erledigt. Mit diesem dicken Bauch ist alles doppelt anstrengend.«
»Na ja, bald hast du es ja überstanden.« Elvira tätschelte ihr liebevoll die Hand.
»Den Paketen nach zu urteilen, habt ihr Weihnachtseinkäufe gemacht«, vermutete Louise, »und ihr wart doch sicher auch bei Wilhelmine?«
Elvira hob die Augenbrauen. »Die Gute hat uns versetzt. Ich bin, ehrlich gesagt, außer mir! Als wir wie angekündigt um drei Uhr bei ihr waren, erklärte uns ihr Diener, Frau Gräfin bedaure, sie käme später, sie sei bei einem Empfang einer …«
»… Fürstin Karamowa«, fiel Louise ihr ins Wort. Sie schüttelte empört den Kopf. »Das sieht meiner Schwester ähnlich. Da lädt eine obskure Person zum Tee, und sie versetzt ihre einzige Tochter. Aber im Moment rennt Wilhelmine ja überall hin.«
»Wer ist das denn, diese obskure Person, wie du sie nennst?«, fragte Elvira.
»Kein Mensch hat je von ihr gehört. Man munkelt, dass sie sich hier niederlassen will. Im Moment residiert sie im Hotel de Prusse. Eine ganze Etage hat sie dort gemietet und an alle Königsberger Damen, deren Adressen sie habhaft werden konnte, Einladungen für heute verschickt.«
»Und an dich nicht?«, fragte Aglaia.
»Doch, natürlich. Aber ich bin nicht hingegangen. Dann müsste ich diese Person ja zurückeinladen. Und das wollte ich um alles in der Welt vermeiden.« Sie kicherte. »Aber Philine ist dort. Sie wird demnächst hier erscheinen, um mir zu berichten.«
Der Diener servierte gerade den Tee, als Philine von Dühnkern hereineilte. »Elvira, Aglaia, was macht ihr denn hier?«, fragte sie erstaunt. »Ich dachte, ihr seid bei Wilhelmine. Jedenfalls erwähnte sie so etwas.«
»Da sie es vorgezogen hat, den Tee bei dieser Karamowa einzunehmen, sind wir gleich wieder gegangen und haben hier zufällig Louise getroffen.«
»Nun erzähl schon«, rief diese. »Wie war es, wer war alles da, und wie sieht sie aus?«
»Also der Reihe nach«, antwortete Philine lachend. »Ehrlich gesagt war es ziemlich trostlos, jedenfalls für die Fürstin.«
»Wieso?«
»Außer mir und Wilhelmine mit dieser langweiligen Heller war nur noch Frau von Ehrenstein da – ihr wisst schon, die Bankiersfrau.«
»Wen wundert’s!«, warf Louise ein.
»Dann noch Frau Legationsrat Merten und die Frau Rittmeister von Liebig.«
»Was?«, rief Louise. »Keine von den Dhonas, Lehndorffs oder Bülows? Da hatte ich ja mal wieder den richtigen Riecher! Und ich sage euch, das ist der gesellschaftliche Tod dieser Dame. Die kriegt hier keinen Fuß auf den Boden.«
»Das glaube ich auch«. Philine nickte zustimmend. »Ihr hättet sie sehen sollen! Das Kleid war teuer, zweifellos, Zobel an den Ärmeln, Saum und Ausschnitt. Aber der war zu tief – ich bitte euch, zum Tee! Sie hat das Gehabe einer Kokotte, war zu laut, und dann die Schminke. Jedenfalls brach Wilhelmine bereits nach einer knappen Stunde als Erste auf. ›Ich muss leider schon gehen‹, hat sie gesagt, ›ich erwarte meine Tochter mit ihrer Schwiegermutter zum Tee‹ und beim Hinausgehen ›Übrigens, ich empfange montags‹.«
»Ha«, rief Louise, »das ist ja ganz was Neues. Ich wette, wenn diese Fürstin an einem Montag bei Wilhelmine erscheint, hat der Diener Anweisung zu sagen, dass die Frau Gräfin heute unpässlich ist.«
Elvira und Aglaia folgten der Unterhaltung fasziniert. Wie beschaulich war doch ihr Leben auf dem Land. Wie weit weg waren für sie diese Art von Bösartigkeit und Intrigen. Während Louise und Philine sich weiter über den misslungenen Einstieg dieser Fürstin in die Königsberger Gesellschaft unterhielten, bat Elvira einen Diener, ihnen eine Droschke zu rufen. »Wir müssen uns auf den Weg machen, der Zug wartet nicht auf uns. Philine, wir sehen uns Weihnachten auf
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