Himmel über Tasmanien
die Bluse mit Keulenärmeln und einen feschen Strohhut beinahe kühl und gleichgültig. »Anscheinend hast du die vergangenen Jahre besser verkraftet als ich«, murmelte sie.
»Ich wäre schon früher gekommen, wenn du auf meineBriefe geantwortet hättest«, sagte Clarice freundlich. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du krank bist?«
»Sieht man mir das so sehr an?« Eunice lächelte schief und schaute auf den Stock. »Vermutlich. Das mit Algernon hat mir leidgetan, und ich habe oft einen Brief an dich angefangen, aber ich stellte fest, dass ich nicht den Mut dazu hatte.«
»Was ist denn passiert, dass du deine Meinung geändert hast?«
»Das erzähle ich dir, wenn wir zu Hause sind. Komm, die Kutsche wartet, und da er jede angefangene halbe Stunde berechnet, verschwenden wir nur Geld.«
Es dauerte eine Weile, bis Eunice in den vielen Kissen eine bequeme Haltung gefunden hatte, und Clarice’ Sorge wuchs. Doch Eunice stellte klar, dass sie nichts bereden wollte, bis sie ihr Haus erreicht hatten, und hüllte sich in brütendes Schweigen.
Clarice saß neben ihr in der Kutsche und schaute sich interessiert um. Vor etwas mehr als vierzig Jahren war der letzte Strafgefangene auf diese Insel deportiert worden, die einst Van Diemen’s Land geheißen hatte. Der schlechte Ruf der Insel zu jener Zeit war ausführlich dokumentiert, und die Entbehrungen und furchtbaren Strafen, die den Männern in Port Arthur auferlegt wurden, waren die treibende Kraft hinter der Abschaffung der Deportation gewesen. Dennoch gab es hier im Norden nur wenige Anzeichen, die auf die schändliche Vergangenheit der Insel hindeuteten, denn alles schien ruhig und grün in der Sommersonne.
Sie fuhren durch einen Tunnel aus gewaltigen Kiefern auf einem schmalen Weg, der parallel zum Fluss verlief. Als sie wieder ins Sonnenlicht eintauchten und der langgestreckten Kurve folgten, wurde Clarice von glitzerndem Wasser und einem Sandstrand begrüßt, der an einem Ende von einer Landzunge aus dunklen Felsen und weiteren Kiefern geschützt wurde.
Die Kutsche rumpelte fast bis ans Ende des Strandes, bevor der Weg sie ins Landesinnere führte. Das Pferd bog kurz darauf ab und blieb vor einer kleinen Holzkate stehen. Sie war einmal weiß gestrichen gewesen, doch die Elemente hatten ihr zugesetzt; der Schornstein und das Wellblechdach waren allerdings vor kurzem instand gesetzt worden. Zurückgesetzt vom Hauptweg war sie umgeben von Koppeln und Außengebäuden und lag im Schatten von Bäumen. Ein paar Hühner pickten im Gras, Pferde und Schafe grasten in der Nähe, und an einen Pfosten neben der Haustür war eine Ziege angebunden. Clarice war sprachlos.
»Sieht vielleicht nicht großartig aus«, sagte Eunice abwehrend, »aber der Unterhalt kostet nicht viel, und es ist praktisch.« Sie bezahlte den Fahrer und öffnete die Haustür.
Clarice rang noch immer mit diesem Rätsel, während sie Eunice in die Dunkelheit einer schmalen Diele folgte, von der zwei Türen abgingen, und weiter in eine noch dunklere Küche, die sich über die gesamte Rückseite des Hauses erstreckte. Schweigend blieb sie stehen, während Eunice sich daranmachte, eine Kanne Tee aufzusetzen. Dieser Raum wurde augenscheinlich als Koch- und Wohnraum genutzt, denn er war mit Möbeln vollgestellt. Die Tür nach hinten war gut abgeschirmt und schaute auf hölzerne Außengebäude, deren Zweck sie nur erraten konnte. Von dem schönen Haus in Coogee Bay war es weit entfernt, und Clarice begriff nicht im Geringsten, warum ihre Schwester in einer solchen Armut lebte.
»Ich habe ein zweites Bett in mein Zimmer stellen lassen, und ich hoffe, dir macht es nichts aus, wenn wir uns einen Raum teilen?«
»Ich wünschte, du hättest dir nicht so viele Umstände gemacht«, erwiderte Clarice, setzte sich auf einen der unbequemen Küchenstühle und zog ihre Handschuhe aus. »Ich habe ein kleines Haus in der Nähe gemietet. Der Agent versichertemir, es sei zu Fuß erreichbar, sodass ich dich jeden Tag besuchen kann, wenn du willst.«
Eunice stellte die Tassen und Untertassen auf den Tisch neben die Teekanne und nahm Platz. »Das war sehr umsichtig von dir«, erwiderte sie mit undurchdringlicher Miene. »Eigentlich ist hier nicht genug Platz für uns alle, und ich weiß, du bist mehr Raum gewohnt.«
»Liebes«, begann Clarice, »warum wählst du so ein Leben, obwohl …«
»Ich habe meine Gründe«, sagte sie kurz angebunden. »Bitte, frag nicht weiter.«
»Aber es ist doch nicht nötig
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