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Himmel über Tasmanien

Himmel über Tasmanien

Titel: Himmel über Tasmanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McKinley
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kühlte das warme Willkommen ab, das man ihr zuvor bereitet hatte. »Ich weiß nicht, ob ich das schaffe«, sagte sie und schaute die schmale Straße hinauf, die landeinwärts führte.
    »Dann lass es«, erwiderte Dolly nachdrücklich. »Warum tust du dir etwas an, was sich am Ende als schmerzhaft erweisen wird?«
    Lulu wusste ihre Weisheit wohl zu schätzen, doch sie würde sie nicht beachten. Die Erinnerungen waren zu stark, und sie konnte dem Sog der Vergangenheit nicht widerstehen. »Ich muss, wenn ich die Geister begraben will«, flüsterte sie.
    Dolly nahm sie an die Hand. »Dann lass es uns hinter unsbringen.« Sie drückte ihre Finger. »Du bist kein kleines Kind mehr, Lulu, du musst keine Angst vor Schatten haben.«
    Lulu lächelte verhalten, als sie den ersten Schritt auf der Straße machte, die zum Haus im Busch führte. Ihr Herz schlug heftig, ihr Mund war ausgetrocknet, und als sie an den Abzweig kamen, musste sie sich innerlich wappnen, um den Weg hinaufzuschauen.
    Es war viel kleiner, als sie es in Erinnerung gehabt hatte – wie ein Puppenhaus im Wald. Vor kurzem waren die Verschalung weiß und die Fliegengitter blau gestrichen worden. Schornstein und Dach waren erneuert, und der Rasen zu beiden Seiten des Schlackenwegs zur Haustür war gemäht.
    Ängstlich wanderte ihr Blick hinter das Haus zu den Außengebäuden. Die alten Stallungen waren noch da, genau wie die Scheune und die Schuppen, und obwohl ein wenig Busch entfernt worden war, um die Koppeln zu erweitern, warfen die Bäume lange, bedrohliche Schatten, die sie zu locken schienen.
    Lulu schauderte und wurde wieder zum Kind – der immer wiederkehrende Albtraum war nur allzu real.
    Als kleines, wehrloses, kaum fünfjähriges Kind hatte sie nicht gewusst, wer ihr Peiniger war. Doch inzwischen hatte sich die Erkenntnis eingestellt. Sie wusste nun, wer die allzu vertraute Gestalt gewesen war, die durch die Schlafzimmertür geschlichen war und nach dem erstickenden Daunenkissen gegriffen hatte – konnte ihre Stimme hören, wie sie Clarice über ihre Absichten belog.
    Aber es gab noch andere Bilder, andere Geräusche; sie trugen Schrecken in sich, die sie mühsam zu begraben versucht hatte. Sie hörte die knarrenden Äste, die auf das Wellblechdach des Schuppens klopften, und das Stöhnen des Windes. Sie war allein. Eingeschlossen im Dunkeln, ohne zu begreifen, warum sie bestraft wurde. Schreien war sinnlos, denn niemandwürde kommen, Weinen ebenso, denn ihre Tränen würden die Strafe nur verlängern.
    Sie sah sich in einer Ecke kauern, das Gesicht an die Knie gepresst, um ihr Schluchzen zu ersticken. Umgeben vom Rascheln huschender Spinnen und Insekten lauschte sie auf das Summen der Fliegen und versuchte die Dunkelheit auf der Suche nach überwinternden Schlangen zu durchdringen. Das Entsetzen brannte in ihrer Kehle, der ausgebrochene Schweiß wurde kalt auf ihrer Haut. Sie krümmte sich noch mehr zusammen und versuchte verzweifelt, unsichtbar zu werden.
    Dann – die Zeit kam ihr vor wie eine Ewigkeit – vernahm sie das entsetzlichste Geräusch überhaupt. Das Schnarren des Riegels, der mit einem Ruck zurückgeschoben wurde.
    Sie duckte sich vor der Gestalt, die dort stand, und verkroch sich in die Ecke, wartete auf den Schlag, die zerrenden Finger in ihren Haaren, den Stiefeltritt. »Tu mir nicht weh, Mama«, schluchzte sie. »Bitte, tu mir nicht weh.«
    Grausame Finger packten ihre Haare, und sie musste aufschreien, als man sie auf die Beine riss. »Ich hab dir gesagt, dass du mich niemals so nennen sollst«, knurrte Gwen.
    Ihr Kopf dröhnte von dem heftigen Schlag, der ihr leidendes Herz ins Stocken brachte. »Es tut mir leid«, jammerte sie. Doch die Strafe war noch nicht vorbei, und sie erstarrte vor Angst, unfähig zu schreien, zu schluchzen oder auch nur zu denken, als Gwen sie packte und über den verlassenen Hof zur Scheune trug.
    »Du hältst dich wohl für ach so goldig, was? Großmutters und Tantes kleiner Liebling mit den großen blauen Augen und goldenen Locken? Ihr kleines Hauslämmchen?« Der Griff in ihr Haar war gnadenlos, während sie zu dem Haken an der Scheunenwand hinauflangte und die Schurschere herunternahm. »Wollen doch mal sehen, wie dieses Lämmchen aussieht, wenn es geschoren ist.«
    »Lulu! Lulu, was ist los? Du bist ganz blass geworden.«
    Sie tauchte aus den schrecklichen Erinnerungen auf, gestärkt durch das Wissen, dass sie fähig war, sie zu überwinden. »Sie hat mir die Haare abgeschnitten«, sagte sie

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