Himmel über Tasmanien
ohne nachzudenken, ebenso anspruchsvoll und aufbrausend war wie ihr Bruder Frank und eine strenge Aufseherin, hatte sie darauf bestanden, Lulu beizubringen, in Öl zu malen. Sie waren tagtäglich bei Sonnenaufgang ausgeritten, um Wasserlöcher zu malen, Bäume und Tafelberge, und hatten über ihre Kunst gelernt, einander zu respektieren.
Den Briefen waren Kohle- und Bleistiftzeichnungen beigefügt, und Clarice betrachtete sie erneut voller Bewunderung. Lorelei hatte in ihren Skizzen das Haus eingefangen, die Koppeln und Pferche, sogar das Gefühl der Weite dieses Viehzuchtbetriebs im Outback, und oft war Clarice, als wäre sie selbst dort gewesen, als spüre sie die Hitze und vernehme die große Stille, die das Mädchen so beeindruckt hatte.
Ein längerer Hustenanfall wurde mit einem Schluck Sherry besänftigt, und sie steckte die Briefe und Bilder wieder in die Schachtel, denn sie war ziemlich erschöpft. Sie war enttäuscht gewesen, als Lorelei ihre Rückkehr ins neue Jahr verschoben hatte, aber ihr war klar, dass das Mädchen das Leben in vollen Zügen genoss. Die Briefe und Zeichnungen hielten sie über alles, was Lulu unternahm, auf dem Laufenden, und sie hatte das Gefühl, als nähme sie ebenfalls an ihrem Abenteuer teil. Sie erinnerte sich an die erdrückende Hitze, den Staub und die Fliegen, wenn in Sydney Sommer war, und doch beneidete sie Lulu fast, wann immer der Wind den Regen an ihre Fenster peitschte.
Sie nahm die kostbare Schachtel auf und erhob sich aus dem Sessel, wobei ihre Gelenke vor Kälte schmerzten, die sie anscheinend nie mehr vertreiben konnte. Als sie sich umdrehte und zum Schreibtisch gehen wollte, verfing sich ihr Fuß am Saum des alten Orientteppichs, und sie stolperte. Sie suchte Halt an ihrem Sessel, verfehlte ihn und stürzte auf den kleinen Tisch daneben. Der Tisch kippte, die Sherryflasche zerbrach in tausend Stücke, und alles krachte zu Boden.
Clarice krachte kopfüber in den Flügel, riss sich die Wange an einer scharfen Kante auf. Ihr Bein verdrehte sich unter ihr,und als sie zu Boden ging, schlug sie mit ihrer knochigen Hüfte auf die harten Dielen.
Verblüfft und atemlos lag sie dort, umgeben von Lulus Briefen und Glassplittern.
»Was haben Sie gemacht?« Vera eilte herein und hockte sich neben sie. »Schon gut, Mum, ich bin hier. Tut es irgendwo weh?«
»Meine Hüfte«, stöhnte Clarice. »Der Schmerz ist unerträglich.«
»Bewegen Sie sich nicht«, sagte Vera gebieterisch. Eilig raffte sie ein paar Sachen von der Couch und schob ihr mit erstaunlicher Sanftheit ein Polster unter den Kopf und legte ihr eine Decke über. »Ich rufe den Arzt«, sagte sie. »Und versuchen Sie nicht, irgendwas zu machen, solange ich draußen bin.«
Clarice kämpfte mit einem weiteren Hustenanfall, der die Pein in ihrer Hüfte noch verstärkte. Sie schloss die Augen. Ihr Herz schlug heftig, ihr war schlecht, und trotz des lodernden Feuers und der Decke war ihr kalt bis auf die Knochen.
»So«, sagte Vera, als sie wieder ins Zimmer trat, »ich hab mit ihm gesprochen, und er kommt sofort.« Sie tätschelte Clarice die Hand. »Keine Bange, Mum, ich räum den Sherry weg, bevor er hier ist. Soll doch nicht glauben, dass Sie beschwipst sind, oder?«
Clarice’ Protest wurde im Keim erstickt, als der Schmerz durch ihre Hüfte bis hinunter in ihre Zehen fuhr. Wie hatte sie nur so unvorsichtig sein können? Wie dumm von ihr. Ihre Augenlider flatterten, schwarze Wirbel trieben durch ihren Kopf, und sie sank in seliges Vergessen.
Der Stich einer Nadel in ihren Arm weckte sie, und sie schlug die Augen auf, verwirrt vom hellen Licht und den weißen Wänden.
»Sie befinden sich im kleinen Krankenhaus, Lady Pearson«, sagte Doktor Williams. »Es ist uns gelungen, Ihre Hüfte wieder einzurenken, aber leider ist auch das Acetabulum gebrochen.« Er lächelte beruhigend. »Das ist die Pfanne, in die Ihr Hüftknochen passt. Es ist nur ein Haarriss, und ich sehe keinen Grund, warum Sie nicht wieder auf die Beine kommen sollten, wenn wir erst den Infekt in Ihrem Brustkorb und das Fieber in Angriff genommen haben.«
»Wie lange werde ich hierbleiben müssen?« Sie hatte Schwierigkeiten, wach zu bleiben.
»Sie brauchen mindestens acht Wochen absolute Bettruhe«, erwiderte er. »Das Betäubungsmittel wird Sie eine Zeitlang schläfrig halten, und sobald es nachlässt, werde ich stärkere Schmerzmittel verschreiben.«
Clarice schloss die Augen, und als sie das nächste Mal aufwachte, saß Vera auf dem Stuhl
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