Himmel un Ääd (German Edition)
Messegelände fußläufig super zu erreichen, da brauchten die Leute
nicht die eh schon dicht befahrene Justinianstraße und die Deutz-Mülheimer zu
verstopfen. Ich hätte heute den Auenweg nehmen sollen. Zu spät.
Arîn wartete
schon, als ich den Wagen vor der »Weißen Lilie« parkte. Sie saß auf dem
Mäuerchen des kleinen Spielplatzes auf der anderen Seite der Regentenstraße,
kaute Sonnenblumenkerne und spie die Schalen ins Gebüsch. Zwei Bewohnerinnen
des nahen Altenheims, die Arme auf ihre Rollwägelchen gestützt, leisteten ihr
Gesellschaft. Arîn hatte ihnen von den Sonnenblumenkernen abgegeben, daran nuckelten
sie eher lustlos herum, aber das Weitspucken machte ihnen sichtlich Freude.
Arîn schaffte es am weitesten, aber die beiden Alten, vom Ehrgeiz gepackt,
versuchten ihr nachzueifern und spuckten, was das Zeug hielt.
Ein Junkie in
Trainingshosen, dessen Augen wie zwei Kirschen in Buttermilch schwammen,
schlurfte langsam durch den Kernehagel an den dreien vorbei und durchwühlte den
Papierkorb an der Ecke nach Pfandflaschen, ohne fündig zu werden.
Vom Spielplatz her
lärmte eine Traube von kleinen türkischen Jungen, die kickten. Allesamt
gewiefte Straßenfußballer und hier im Quartier zu Hause. Ein kräftiger Schuss,
der Ball flog in weitem Bogen über den Platz und landete direkt zwischen den
zwei Rollatoren. Sofort schoss ein schmales Kerlchen aus dem Gestrüpp hervor.
Arîn pflaumte ihn auf Türkisch an und deutete abwechselnd auf die alten Frauen
und die Fenster der »Weißen Lilie«. Schon einmal hatte so ein
Möchtegern-Poldolski eine meiner Scheiben zerschossen. Sichtbar unbeeindruckt
von Arîns Redeschwall, griff der Kleine den Ball und sah zu, dass er Land
gewann. Die alten Ladys spuckten ein paar Kerne hinter ihm her.
Mülheim, das
merkte man hier schnell, zählte nicht zu den Sightseeing-Höhepunkten von Köln.
Mülheim war laut und dreckig, hatte wenig schöne und viele üble Ecken. Aber
Mülheim war auch bunt und vital, Mülheim boomte und brummte, deshalb – und
natürlich weil die Geschäfte gut liefen – fand ich es gut, mit der »Weißen
Lilie« mittendrin in diesem pulsierenden Veedel zu hocken. Bis Ende des Monats
noch saß ich hier fest im Sattel, aber die weitere Zukunft der »Weißen Lilie«
war durch Mombauers Tod wackelig geworden. Doch darum würde ich mich später
kümmern.
»Hey, wir müssen
den Wagen ausräumen«, rief ich Arîn zu. »Bert braucht ihn wieder.« Bert war
Koch im Altenheim und lieh mir den Transporter aus, wenn ich ein großes Auto
brauchte.
Das Mädchen
reichte einer der beiden Alten zum Abschied die Tüte mit den restlichen
Sonnenblumenkernen und kam zum Auto gelaufen. Heute trug sie ein paar schwarze
Leggings unter einem Jeans-Minirock, darüber eine weiße Baumwollbluse und eine
schmale Weste mit kleinen Spiegelchen und indischen Stickereien. Unter dem
modischen Pony blitzten wache Mandelaugen, ein dicker Lidstrich à la Brigitte
Bardot verstärkte deren Ausdruck.
Schon seit einigen
Monaten beobachtete ich mit Wohlwollen, wie Arîn mehr und mehr ihren eigenen
Stil entwickelte. Sie liebte kräftige Farben, mischte Orientalisches mit
Westlichem und war nicht mehr die unscheinbare kleine Kurdin, die vor vier
Jahren ihre Lehre bei mir begonnen und die ich danach übernommen hatte.
»Nicht schon
wieder Spargel«, stöhnte sie, als ich ihr die Kisten mit den weißen Stangen in
die Hände drückte. »Den ganzen Mai und Juni nichts als Spargel, Spargel,
Spargel. Warum gibt es bei uns nie Brokkoli?«
»Weil Brokkoli ein
völlig überschätztes Gemüse ist«, wies ich sie zurecht, packte mir die
Kühltasche mit dem Fisch und lief damit in die Küche. »Im Vergleich zu Spargel
eine Beleidigung. Und jetzt hör auf, über den Spargel zu meckern, lange musst
du ihn nämlich nicht mehr schälen. Am Einundzwanzigsten, an Johanni, ist
Schluss, ab dann wird kein Spargel mehr gestochen. Gilt auch für Rhabarber! Und
bis dahin nutzen wir jede Gelegenheit, um Spargel zuzubereiten. Weil es dann
wieder ein Jahr dauert, bis man frischen und guten kriegt. Saisonale Küche,
regionale Produkte dann auf die Speisekarte setzen, wenn sie reif sind, ist ein
Credo –«
»Schon gut, schon
gut«, unterbrach sie mich. »Kann mich trotzdem nicht damit anfreunden. Wenn ich
nur an diese stinkende Spargelpisse denke. Also, wenn ich mal mein Restaurant
aufmache, dann –«
»– kannst du
kochen, was du willst, aber jetzt holst du erst noch den Rest aus dem Auto«,
machte ich
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