Himmel un Ääd (German Edition)
Pensionäre hatten sie dafür Zeit, genauso wie für
diesen komischen Eilert oder für Spekulationen über den Tod des alten Mombauer.
Ich hatte keine Zeit für so was. Ich musste ein Restaurant führen, Geld für Ecki
und mich und für drei Angestellte erwirtschaften, zusehen, dass die »Weiße
Lilie« weiterhin gut lief.
Da war er wieder,
der Klumpen Angst. Er übersäuerte meinen Magen, schnürte mir die Luft ab. Den
Rückweg lief ich noch schneller als den Hinweg, ließ Adela weit hinter mir. Auf
dem Rhein glitzerte die Sonne, im Rheinpark blühten die Blumen, Kinder
jubilierten, Spatzen pfiffen. Eine Sei-ohne-Sorge-Szenerie, eine
Das-Leben-ist-schön-Welt. Aber sie kriegte mich nicht zu fassen, sie war weit
weg von mir, die Angst hielt mich fest im Griff. So fest, dass ich nichts mehr
sehen und hören wollte, nur lief, lief und lief, bis Adela ihren Walking-Stock
in meinen Rücken bohrte.
»Hörst du nicht,
dass dein Handy klingelt?« Adelas Gesicht war puterrot, so schnell zu laufen
war nichts für sie. »Kannst du mir mal sagen, warum du heute so rasen musst?
Eine alte Frau ist doch schließlich kein D-Zug.«
Adela schickte mir
einen Blick, der gleichzeitig Ärger und Besorgnis ausdrückte. Sie war es
gewohnt, dass ich beim Laufen Rücksicht auf sie nahm, und sie verstand nicht,
was mit mir los war. Aber die Angst war flüchtig wie Gas, wendig wie eine
Schlange, hart wie Stein. Sie ließ sich weder in Worte fassen noch mit Worten
vertreiben.
»Gehst du nicht
ran?«
Auf dem Display
sah ich, dass Arîn anrief. Sie wollte wissen, ob ich etwas von Minka gehört
hatte. Minka, dachte ich, ist wirklich mein kleinstes Problem.
»Hast du mit
Gülbahar gesprochen?«, fragte ich.
»Ja, aber die kann
heute nicht auf dem Spülposten aushelfen, erst morgen.«
»Minka taucht
bestimmt noch auf. Ist ja noch Zeit, bis sie mit der Arbeit anfangen muss.« Und
wenn nicht, dachte ich, müssen wir wie gestern den Spül übernehmen. Ist nicht
schön, geht aber.
»Was ist mit
Minka?«, wollte Adela wissen, und ich erklärte es ihr. »Merkwürdig, dass sie
nicht erreichbar ist –«
»Adela!« Es ging
mir auf die Nerven, dass sie hinter jeder Unregelmäßigkeit ein Geheimnis
vermutete.
»Hast du dich
nicht auch gewundert, sie auf dem Bause-Fest zu sehen? Zauberhaft, dieses
Kleidchen und die Frisur! Die Kleine hat die Männer angezogen wie Motten das
Licht. Hast du gewusst, dass sie Bauses Putzfrau ist?«
Hatte ich nicht.
Aber von dem Vierhundert-Euro-Job bei mir konnte sie schließlich nicht leben.
»Betty hat sie
eingeladen, weil Betty alle eingeladen hat, die sie nett findet. Sie sagt, dass
Minka eine echte Perle ist. Alles immer tipptopp sauber, dabei freundlich und
zuverlässig.«
»Was will man
mehr?«, murmelte ich und ging in Gedanken schon den Arbeitstag durch. Gleiche
Karte wie gestern, wieder ausgebucht. Was sollte ich mit Sabine Mombauer
machen? Zuerst mit Irmchen sprechen, wie Ecki mir empfohlen hatte? Ecki. Den
brauchte ich heute wirklich schon für die Vorbereitung. Sein Handy war
ausgeschaltet. Was hatte ich erwartet?
Während ich auf
dem Weg zur Arbeit wieder mal im Stau stand, dachte ich weiter über meine Angst
nach. Jetzt fand ich sie mit einem Mal übertrieben und fehl am Platz.
Schließlich war noch lange nicht aller Tage Abend, die Chancen, dass ich einen
neuen Pachtvertrag für die »Weiße Lilie« bekam, wahrscheinlich sogar höher, als
die Keupstraße verlassen zu müssen.
Abwarten und Tee
trinken also. Aber ich hasste Schwebezustände. Nicht zu wissen, woran ich war.
Optionen waren mir ein Graus. Ich liebte gerade Wege und klare Vorgaben. Da konnte
man mir noch so oft sagen, dass das Leben eine Achterbahn war, mein Leben
sollte eine Straße mit Warn- und Vorfahrtsschildern und ordentlichen
Verkehrsregeln sein.
Wütend drückte ich
auf die Hupe, weil sich ein Laster vor mir in die Schlange drängelte. Hätte ich
doch bloß den Zehn-Jahres-Vertrag unterschrieben! Irgendwie wäre ich da schon
wieder herausgekommen, wenn ich gewollt hätte. Hätte. Hätte.
Die Keupstraße
präsentierte sich bei meiner Ankunft erstaunlich leer: keine kleinen Fußballer,
keine Rollatoren, keine Arîn. Stattdessen inspizierte ein dürrer Mann mit der
geckigen Grazie eines Storches die heruntergelassenen Rollos der »Weißen
Lilie«, rüttelte dann an der Eingangstür und studierte anschließend die
Klingelschilder von Mombauer und Pütz an der Wohnungstür.
»Wen suchen Sie
denn?«, fragte ich.
»Oh!« Er
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