Himmel un Ääd (German Edition)
Manchmal duftete die
ganze Straße wie ein riesiges frisches Fladenbrot. Nicht zu vergessen die
Dönerläden, Teehäuser und Restaurants, die auch außerhalb des Viertels einen
guten Ruf hatten und viel Publikum anzogen.
Am Wochenende war
hier manchmal die Hölle los. Türkische Großfamilien beim Essen in den
Restaurants, aber auch junge Leute, die sich in einem der Dönerläden noch
schnell etwas in den Mund schoben, bevor es ins E-Werk oder ins Palladium zum
Feiern ging. Dann strahlte die Straße lebendig und friedlich, und nichts
erinnerte an die traurige Berühmtheit, zu der sie 2004 gelangte, als vor dem
Friseursalon Yildirim eine Nagelbombe explodierte. Aber natürlich hatte man
dieses Attentat hier nie vergessen.
Als im Herbst eher
zufällig herauskam, dass die Zwickauer Terrorzelle für das Attentat
verantwortlich war, hatte das zwar Erleichterung, aber auch viele neue Fragen
ausgelöst. Warum hatte man so früh eine Spur ins rechtsradikale Milieu
verworfen? Warum nicht Parallelen zu den sogenannten Döner-Morden
weiterverfolgt? Warum überhaupt konnten drei polizeibekannte Rechtsradikale
zehn Jahre mordend durch die Lande ziehen, ohne jemals gefasst zu werden?
»Friseure, ich
meine, wer kümmert sich schon um Friseure und dann noch um türkischstämmige?«,
regte sich Fatma Yavuz, meine Friseurin auf, deren Salon schräg vis-à-vis von
Yildirims Herrenladen lag, und ich konnte ihr nicht widersprechen. »Stell dir
vor, das hätte auch mich treffen können. Da nützt es nichts, wenn die Politiker
dann mal wieder einen ihrer Betroffenheitsbesuche machen.«
Immer wenn ich zum
Haareschneiden kam, redeten wir zuerst darüber.
»Aber wenn du nur
noch daran denkst, kannst du deinen Laden direkt dichtmachen«, sagte Fatma.
»Und wie heißt es in Köln? Et hätt noch immer joot jejange.« Und dann schüttete
sie leichteren Herzens ihr Füllhorn an alltäglichem Keupstraßen-Tratsch über
mich aus, weil man doch mit dem Schrecken und der Furcht nicht weiterleben
konnte.
Eine bremsende
Linie 4 ließ mich aus meinen Gedanken auffahren, ich hatte den Clevischen Ring
wieder erreicht. Diesmal wartete ich, bis die Ampel auf Grün schaltete, bevor
ich die Straße überquerte. Auf der anderen Straßenseite ging die Keupstraße
weiter, aber Klein-Istanbul war zu Ende. Da waren der Spielplatz, die »Weiße
Lilie«, das Altenheim. Zudem standen hier ein paar bemerkenswerte Häuser aus
den Anfängen des neunzehnten Jahrhunderts, als das wohlhabende protestantische
Mülheim blühte, während man auf der anderen Rheinseite auf die napoleonischen
Truppen warten musste, um den Mittelaltermief aus der Stadt zu kehren.
Am Spielplatz fuhr
Brandt seinen metallicblauen Wagen aus der Parklücke. Hatte er noch so lange
mit Arîn gesprochen? Wie lange war ich überhaupt weg gewesen? Er kurbelte die Scheibe
herunter und sah mich wieder mit diesem besorgten Menschenfreund-Blick an.
Hatte er mitbekommen, wie ich als brennender Busch und heulend aus dem Haus
gestürzt war?
Wenn ja, dann
erwähnte er es mit keinem Wort. »Wenn Sie nicht dazu kommen, den Waldmeister zu
verarbeiten, kann ich Ihnen noch mal neuen bringen. Ich habe noch jede Menge
davon in meinem Schrebergarten.«
Waldmeister,
stimmt. Vielleicht fiel mir dazu etwas ein.
»Und Sie?«, fragte
ich. »Müssen Sie noch arbeiten, oder können Sie das Wochenende in Ihrem
Schrebergarten genießen?«
»Bei einem
Mordfall gibt es kein Wochenende. Ich fahre jetzt in dieses tantrische
Massagezentrum.« Er sah nicht aus, als ob er sich darauf freute. »Drücken Sie
mir mal die Daumen, dass ich da nicht verwirrter rauskomme, als ich reingehe.«
»Daumen drücken,
das werde ich grade noch schaffen.«
Brandt lächelte
und fuhr davon.
Als ich mich der
Tür der »Weißen Lilie« näherte, stürzten Arîn und Eva gleichzeitig heraus. Sie
überzogen mich mit ihren Mitleidsblicken und erinnerten mich damit ebenfalls an
meinen panischen Aufbruch.
»Kein Wort«,
befahl ich. »Was ist mit Frau Mombauer? Hat sie noch irgendwas gesagt?«
»Na ja, sie war
nicht begeistert, dass ihre Verträge ein Espressobad genommen haben. Sie hat
sie in den Müll geworfen und ist gegangen.«
»Wollte sie
wiederkommen? Soll ich sie anrufen?«
Eva zuckte mit den
Schultern.
»Wie auch immer«,
murmelte ich. »Wir müssen kochen.«
»Willst du heute
wirklich aufmachen?« Eva musterte mich wie eine Kranke, die zu früh ins gesunde
Leben zurückdrängte. »Ich könnte den Gästen absagen. So was passiert in
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