Himmel un Ääd (German Edition)
Aufgabe von guten Restaurants. Aber wie sollen die
Leute was Neues ausprobieren, wenn sie sich alles Essen nach eigenem Gusto
zusammenstellen können? Überleg mal, wie viele Gerichte hier unter den Tisch
fallen –«
»Jetzt werd nicht
wieder so bierernst und missionarisch«, unterbrach mich Adela. »Den Leuten
gefällt es. Essen muss gefallen, das ist wichtig. Und die Nachtische, ich sage
dir, die sehen so was von köstlich aus.«
»Ich fass es
nicht! Selbst du lässt dir Sand in die Augen streuen. Das ist doch zu achtzig
Prozent Show hier. Alles wirkt künstlich und inszeniert. Es gefällt den Leuten,
weil es neu ist und weil sie essen können, was sie kennen. Ich komme mir echt
wie ein Dinosaurier der Kochkunst vor!« Mein Piepser piepste. »Und dann diese
Hin-und-her-Rennerei«, meckerte ich weiter. »Also ich gehe essen, um dann auch
sitzen bleiben zu können.«
»Du gehst gar nie
essen, du kochst nur«, korrigierte mich Adela. »Und du lebst vom Kochen! Kein
Koch kannst es sich leisten, die neuesten Gastro-Trends komplett zu
ignorieren.«
»Gastro-Trends
sind schnelllebig, man muss seinen eigenen Stil finden, darauf kommt es an!«
Der Piepser
piepste wieder.
»Der Fisch ruft«,
knurrte ich und hievte mich vom Stuhl hoch.
»Was nützt dir
dein eigener Stil, wenn Eilert in Mülheim seinen Laden aufmacht und keiner mehr
zu dir essen kommt?« Adela packte nach meiner Hand und hielt mich noch am Tisch
fest. »Jetzt hör auf, dich im eigenen Glanz zu drehen, guck dir lieber alles
genau an! Du musst doch wissen, mit was ›All-inclusive‹ dir in Mülheim
Konkurrenz machen wird.«
Die Klientel, die
»La petite France« um diese Uhrzeit in der Hauptsache besuchte, konnte ich in
der »Weißen Lilie« schon mal nicht bedienen. Junge Liebespaare, die an kleinen
Tischen miteinander turtelten und sich gegenseitig Löffelchen mit Mousse au
Chocolat in den Mund schoben, die in roten Glasherzen serviert wurde.
Wahrscheinlich fanden das alle sehr romantisch, weil Paris ja die Stadt der
Liebe und »La petite France« für sie Paris im Herzen von Köln war.
Inmitten all
dieser zur Schau gestellten Zweisamkeit fiel die einzelne Frau an einem
Zweiertisch besonders auf. Ich erkannte sie sofort wieder. Es war die schwarze
Witwe, die beim Bause-Empfang mit meinem Bunsenbrenner auf Eilert losgegangen
war. Wieder trug sie Schwarz, das von grauen Strähnen durchgezogene, ebenfalls
schwarze Haar war zu einem strengen Knoten gedreht und betonte ihr schönes
Gesicht. Sie erinnerte mich an die Witwe in »Alexis Sorbas«. In den Kohleaugen
blitzte unterdrückte Leidenschaft. Ihr Alter war schwer zu schätzen. Irgendwas
zwischen Mitte vierzig und fünfzig.
Sie saß an einem
Tisch in der Nähe des Tresens, schob einen Teller mit Fisch zur Seite und rief
nach dem Kellner. Sie musste mehrmals und sehr laut rufen, bis er an ihren
Tisch kam.
»Schauen Sie sich
meine Haut an«, pflaumte sie ihn laut an und deutete auf ihren Unterarm.
»Diesen Ausschlag bekomme ich nur, wenn ich Glutamat esse. Ich habe
ausdrücklich gefragt, ob in der Fischsoße Glutamat sei, man hat mir versichert,
dass man hier überhaupt kein Glutamat verwende, aber meine Haut sagt etwas
anderes. Das ist ein Betrug am Kunden!«
Die Frau hatte
nicht nur meine ganze Aufmerksamkeit, auch schätzungsweise die Hälfte der
Liebespaare unterbrach das Turteln und Schnäbeln und blickte interessiert in
ihre Richtung.
»Glutamat, kein
gutes Restaurant verwendet Glutamat«, polterte sie weiter.
» Quel dommage, madame! Wenn Sie mir in die Küche folgen, wir
können das klären. Eigentlich unsere Speisen enthalten kein Glutamat.« Glutamat
sprach er spitz »Glütama« aus, so als ob dies wirklich etwas besonders Ekeliges
wäre. Ansonsten klang seine Stimme sanft wie die eines empathischen
Talkmasters, und sein Blick signalisierte, dass bei ihm der Kunde immer König,
in ihrem Fall besser Königin war. »S'il vous plaît, madame!«
Mit einer galanten
Geste lud er sie ein, ihn zu begleiten, aber die schwarze Witwe bewegte sich
keinen Zentimeter.
»Wo ist der
Geschäftsführer? Ich möchte den Geschäftsführer sprechen«, lärmte die Frau
weiter.
Langsam, aber
sicher ging dem Talkmaster-Kellner seine Souveränität flöten. Er warf
hilfesuchende Blicke durch den Raum, aber kein Kollege eilte zu seiner Rettung
herbei. Zum einen, weil es außer ihm sowieso keinen weiteren Kellner gab, zum
anderen, weil die Kulis, die vorher das schmutzige Geschirr abgeräumt hatten,
alle
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