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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Scheu, allem Flackern unentrinnbar, das jetzt plötzlich für ungehörig erklärt wurde, für einseitig. Seine Hände am Lenkrad gehörten ganz ihm, zurückgefordert, als hätte er sie nie berührt.
    »Wie wär’s mit dem Stanley Park?«, fragte er. »Möchten Sie gern einen Spaziergang im Stanley Park machen?«
    Sie sagte: »Ach, der Stanley Park. Da bin ich schon lange nicht mehr gewesen«, als hätte der Einfall sie aufgemuntert und als könnte sie sich nichts Besseres vorstellen. Und sie machte es noch schlimmer, indem sie hinzufügte: »Es ist so ein herrlicher Tag.«
    »Ja. Wirklich ein herrlicher Tag.«
    Sie redeten wie Karikaturen, es war unerträglich.
    »Diese Mietwagen sind nie mit einem Autoradio ausgestattet. Naja, manchmal schon. Und manchmal nicht.«
    Als sie die Lion’s Gate Bridge überquerten, kurbelte sie ihr Fenster herunter. Sie fragte ihn, ob ihn das störe.
    »Nein, überhaupt nicht.«
    »Das bedeutet für mich immer Sommer. Das Fenster herunter und den Ellbogen draußen und den Fahrtwind hereinlassen – ich glaube, an ein Auto mit Klimaanlage könnte ich mich nie gewöhnen.«
    »Bei bestimmten Temperaturen schon.«
    Sie zwang sich, zu schweigen, bis der Wald des Parks beide aufnahm und die hohen dichten Bäume vielleicht die Platitüden und die Scham verschluckten. Dann verdarb sie alles durch ihren zu dankbaren Seufzer.
    »Zum Rundblick.« Er las das Schild vor.
    Viele Menschen waren unterwegs, obwohl es ein Wochentag im Mai war und die großen Ferien noch nicht begonnen hatten. Gut möglich, dass sie gleich darüber Bemerkungen austauschten. Autos parkten entlang der ganzen Auffahrt zum Restaurant, und Schlangen standen auf der Aussichtsplattform vor den Münzferngläsern.
    »Ah.« Er hatte ein Auto entdeckt, das wegfuhr. Eine kurze Befreiung von dem Zwang, etwas sagen zu müssen, während er wartete, zurücksetzte, um Platz zu machen, und dann den Wagen in die ziemlich enge Lücke hineinmanövrierte. Sie stiegen gleichzeitig aus und gingen ums Auto herum auf den Bürgersteig. Er wandte sich dahin und dorthin, als wollte er eine Entscheidung treffen, in welche Richtung sie gehen sollten. Spaziergänger kamen und gingen auf sämtlichen Wegen, die zu sehen waren.
    Ihre Beine zitterten, sie konnte das nicht mehr ertragen.
    »Bringen Sie mich woandershin«, sagte sie.
    Er sah ihr ins Gesicht. Er sagte: »Ja.«
    Mitten auf dem Bürgersteig vor aller Augen. Sich küssen wie verrückt.
     
    Bringen Sie mich,
hatte sie gesagt.
Bringen Sie mich woandershin,
nicht
Fahren wir woandershin.
Das ist ihr wichtig. Das Wagnis, die Überlassung der Macht. Das völlige Wagnis und die vollständige Überlassung.
Fahren wir
 – das hätte das Wagnis enthalten, aber nicht den Verzicht, der für sie – immer wenn sie diesen Augenblick noch einmal durchlebt – der Anfang der erotischen Talfahrt ist. Und was, wenn er seinerseits verzichtet hätte?
Wohin denn?
Das wäre es auch nicht gewesen. Er muss genau das sagen, was er tatsächlich sagte. Was er sagen muss, ist:
Ja.
    Er brachte sie in die Wohnung in Kitsilano, in der er übernachtete. Sie gehörte einem Freund von ihm, der auf einem Fischkutter unterwegs war, irgendwo vor der Westküste von Vancouver Island. Sie lag in einem kleineren, bürgerlichen Haus, drei oder vier Stockwerke hoch. Alles, was Meriel davon in Erinnerung behalten sollte, waren die Glasbausteine um den Hauseingang und die aufwendige, schwere Hi-Fi-Anlage jener Zeit, die das einzige Mobiliar im Wohnzimmer zu sein schien.
    Sie hätte einen anderen Schauplatz vorgezogen, und den setzte sie auch in ihrer Erinnerung an die Stelle des wirklichen. Ein schmales, sechs- oder siebenstöckiges Hotel, früher eine vornehme Unterkunft im West End von Vancouver. Gardinen aus vergilbter Spitze, hohe Decken, vielleicht ein eisernes Gitter vor einem Teil des Fensters, ein Austritt. Nichts wirklich Schmutziges oder Verrufenes, nur eine Atmosphäre langer Unterbringung von privaten Nöten und Sünden. Dort würde sie die kleine Empfangshalle mit gesenktem Kopf und herabhängenden Armen durchqueren müssen, ihr ganzer Körper durchdrungen von köstlicher Scham. Und er würde mit dem Mann am Empfang sprechen, mit leiser Stimme, die ihre gemeinsame Absicht nicht herausstrich, aber auch nicht verbarg oder entschuldigte.
    Dann die Fahrt im altmodischen Käfig des Fahrstuhls, der von einem alten Mann bedient wurde – oder vielleicht von einer alten Frau, von einem Krüppel, von einem verschmitzten Diener

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