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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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in der hinteren Diele des Hauses gehangen hatte, in dem Meriel aufgewachsen war, und immer, wenn die Künstlerin zu Besuch kam, wurde es ins Esszimmer umgehängt. Seine Farben waren düster – dunkle Rot- und Brauntöne (Meriels Vater nannte es »Brennender Misthaufen«) –, aber Tante Muriel selbst wirkte immer fröhlich und furchtlos. Als sie jung war, hatte sie in Vancouver gelebt, bis sie kam, um in dieser Stadt im Landesinneren zu unterrichten. Sie war mit Künstlern befreundet gewesen, deren Namen inzwischen in den Zeitungen standen. Sie sehnte sich danach, dorthin zurückzukehren, und tat es schließlich auch, um als Privatsekretärin bei einem reichen alten Ehepaar zu wohnen, das viele Künstler forderte. Solange das währte, schien sie viel Geld zu haben, aber als die beiden starben, ging sie leer aus. Sie lebte von ihrer Rente, wandte sich der Aquarellmalerei zu, weil sie sich Ölfarben nicht mehr leisten konnte, und hungerte (vermutete Meriels Mutter), damit sie Meriel – die damals studierte – in ein Restaurant einladen konnte. Bei diesen Anlässen redete sie in einem Sturzbach aus Witzen und Beurteilungen und legte meistens dar, dass die Arbeiten und Ideen von hochgelobten Leuten Bockmist waren, dass es aber hier und da – in der Produktion irgendeines obskuren Zeitgenossen oder irgendeines Halbvergessenen aus einem anderen Jahrhundert – etwas Außergewöhnliches gab. Das war ihr unerschütterliches Lobeswort – »außergewöhnlich«. Mit fast tonloser Stimme, als sei sie hin und wieder und sehr zu ihrer eigenen Überraschung auf wahre Qualität gestoßen, der die Anerkennung durch die Welt bislang versagt geblieben war.
    Der Arzt kam mit zwei Stühlen wieder und stellte sich vor, ganz ungezwungen, als wäre dazu jetzt erst Gelegenheit.
    »Eric Asher.«
    »Er ist Arzt«, sagte Meriel. Sie wollte gerade alles erklären, die Beerdigung, den Unfall, den Flug von Smithers hierher, doch das Gespräch wurde ihr entzogen.
    »Aber ich bin nicht von Berufs wegen hier, keine Sorge«, sagte der Arzt.
    »O nein«, sagte Tante Meriel. »Sie sind mit ihr hier.«
    »Ja«, sagte er.
    Gleichzeitig streckte er die Hand aus, über den Abstand zwischen ihren Stühlen hinweg, nahm Meriels Hand, hielt sie für einen Augenblick fest umschlossen, ließ sie wieder los. Und zu Tante Muriel sagte er: »Woran haben Sie das gemerkt? Daran, wie mein Atem geht?«
    »Natürlich hab ich’s gemerkt«, sagte sie recht ungeduldig. »Schließlich war ich früher selbst ein Satansbraten.«
    Ihre Stimme – das Tremolo oder das Kichern darin – klang völlig anders, als Meriel sie in Erinnnerung hatte. Als rührte sich in dieser plötzlich so sonderbaren alten Frau ein Verrat. Ein Verrat an der Vergangenheit, vielleicht an Meriels Mutter und an deren Freundschaft mit einer Person aus besseren Kreisen, die ihr so viel bedeutet hatte. Vielleicht an den Restaurantbesuchen mit Meriel selbst, an den schöngeistigen Gesprächen. Eine Entweihung stand bevor. Meriel fürchtete sich, spürte eine gewisse Erregung.
    »Ja, früher hatte ich Freunde«, sagte Tante Muriel, und Meriel sagte: »Du hattest viele Freunde.« Sie nannte einige Namen.
    »Tot«, sagte Tante Muriel.
    Meriel sagte nein, sie habe erst kürzlich etwas in der Zeitung gelesen, von einer Retrospektive oder einer Preisverleihung.
    »Ach? Ich dachte, er ist tot. Vielleicht denke ich an jemand anders … Kannten Sie die Delaneys?«
    Sie wandte sich direkt an den Mann, nicht an Meriel.
    »Ich glaube nicht«, sagte er. »Nein.«
    »Das waren Leute, die hatten ein Haus, wo wir uns immer alle einfanden, auf Bowen Island. Die Delaneys. Ich dachte, Sie hätten vielleicht von ihnen gehört. Na. Da tat sich so einiges. Das habe ich gemeint, als ich sagte, ich war früher ein Satansbraten. Abenteuer. Na. Es sah wie ein Abenteuer aus, aber es hielt sich alles ans Drehbuch, wenn Sie wissen, was ich meine. Eigentlich gar kein richtiges Abenteuer. Wir haben uns natürlich alle die Hucke voll gesoffen. Aber bei ihnen mussten immer Kerzen in einem Kreis brennen, und es musste natürlich Musik sein – mehr wie ein Ritual. Aber nicht völlig. Das hieß nicht, dass man nicht jemand Neues kennen lernen und das Drehbuch in die Ecke feuern konnte. Einfach jemandem zum ersten Mal begegnen und sich küssen wie verrückt und rauslaufen in den Wald. Ins Dunkel. Aber man kam nicht sehr weit. Machte nichts. Vom Blitz getroffen.«
    Sie hatte zu husten begonnen, versuchte trotzdem

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