Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
Erzählungen – wie sie niemand mehr schrieb – für sie jetzt das Richtige gewesen wäre, sich ins Wasser zu stürzen. So, wie sie war, randvoll mit Glücksgefühlen, belohnt, wie sie es bestimmt nie wieder sein würde, jede Zelle ihres Körpers prall von süßem Selbstbewusstsein. Eine romantische Tat, die – aus einem verbotenen Blickwinkel – für überaus vernünftig angesehen werden konnte.
War sie in Versuchung? Wahrscheinlich überließ sie sich nur der Vorstellung, in Versuchung zu sein. Wahrscheinlich war sie weit davon entfernt, sich ihr hinzugeben, obwohl gänzliche Hingabe eben noch auf der Tagesordnung gestanden hatte.
Erst nach Pierres Tod fiel ihr eine weitere Einzelheit ein.
Asher hatte sie zur Horseshoe Bay gefahren, zur Fähre. Er war aus dem Auto ausgestiegen und zu ihr herübergekommen. Sie stand da und wartete darauf, sich von ihm zu verabschieden. Sie ging einen Schritt auf ihn zu, um ihm einen Kuss zu geben – bestimmt etwas ganz Natürliches nach den letzten Stunden –, und er hatte gesagt: »Nein.«
»Nein«, sagte er. »Das tue ich nie.«
Natürlich stimmte nicht, dass er es nie tat. Nie eine Frau draußen auf der Straße küsste, wo alle es sehen konnten. Noch am Nachmittag hatte er es getan, am Rundblick.
Nein.
Das war einfach. Eine Warnung. Eine Weigerung. Um sie zu schützen, könnte man sagen, und auch sich selbst. Auch wenn er sich wenige Stunden vorher darum nicht geschert hatte.
Das tue ich nie
war allerdings etwas anderes. Eine andere Art von Warnung. Eine Information, die sie nicht glücklich machen konnte, obwohl dahinter vielleicht die Absicht stand, sie davor zu bewahren, einen schweren Fehler zu begehen. Vor den trügerischen Hoffnungen und den Demütigungen eines bestimmten Fehlers.
Wie nahmen sie also voneinander Abschied? Gaben sie sich die Hand? Sie konnte sich nicht mehr erinnern.
Aber sie hörte seine Stimme, das Leichte und doch Ernste seines Tonfalls, sie sah sein entschlossenes, lediglich freundliches Gesicht, sie spürte, wie er sich ihr entzog. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass ihr Gedächtnis sie nicht trog. Sie begriff nicht, wie sie es fertig gebracht hatte, diese Erinnerung so lange Zeit völlig zu verdrängen.
Ihr kam der Gedanke, dass ihr Leben, wäre ihr das nicht gelungen, unter Umständen einen ganz anderen Verlauf genommen hätte.
Wieso?
Vielleicht wäre sie nicht bei Pierre geblieben. Vielleicht wäre sie nicht fähig gewesen, ihr Gleichgewicht zu bewahren. Der Versuch, das, was an der Fähre gesagt worden war, mit dem, was kurz zuvor am selben Tag gesagt und getan worden war, zusammenzufügen, hätte sie vielleicht aufmerksamer und neugieriger gemacht. Stolz oder Widerspruchsgeist hätten eine Rolle spielen können – das Bedürfnis, einen Mann zu zwingen, seine Worte zurückzunehmen, die Weigerung, sich zu fügen –, aber das wäre nicht alles gewesen. Da war noch das andere Leben, das sie hätte führen können – was nicht hieß, dass sie es vorgezogen hätte. Es lag wahrscheinlich an ihrem Alter (das sie immer zu berücksichtigen vergaß) und an der dünnen, kühlen Luft, die sie seit Pierres Tod atmete, dass sie sich dieses andere Leben einfach als eine Art von Erkundung vorstellen konnte, die ihre eigenen Fallstricke und Errungenschaften bereithielt.
Vielleicht fand man dabei ohnehin nicht besonders viel heraus. Vielleicht nur immer wieder dasselbe – was eine offenkundige, aber unbequeme Wahrheit über das eigene Ich sein konnte. In ihrem Fall die Wahrheit, dass sie sich immer von der Vernunft – oder zumindest von einem haushälterischen Umgang mit Gefühlen – hatte leiten lassen.
Sein kleiner, selbsterhaltender Schachzug, die freundliche und vernichtende Warnung, die Haltung starrer Unbeugsamkeit, die ihr inzwischen ein wenig altbacken vorkam, wie eine aus der Mode gekommene große Geste. Sie konnte ihn jetzt mit alltäglicher Ratlosigkeit betrachten, als wäre er ein Ehemann gewesen.
Sie stellte sich die Frage, ob er so für sie bleiben würde oder ob sie ihm noch eine neue Rolle zuzuweisen hatte, in ihren Gedanken noch andere Verwendung für ihn hatte, in der Zeit, die vor ihr lag.
Queenie
»Ist vielleicht besser, wenn du mich nicht mehr so nennst«, sagte Queenie, als sie mich an der Union Station abholte.
Ich fragte: »Wie? Queenie?«
»Stan mag das nicht«, sagte sie. »Er sagt, das hört sich für ihn nach einem Pferd an.«
Sie »Stan« sagen zu hören war für mich eine größere
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