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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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gegenseitig die Haare auszureißen. Alles, was er in letzter Zeit von ihnen bekommen hatte, waren Tränen und Klagen, unterstrichen von wütenden Beteuerungen, dass sie ihn liebten.
    Vielleicht war auch dafür eine Lösung eingetroffen.
     
    Als Johanna im Laden Lebensmittel kaufte, hörte sie einen Zug, und auf der Rückfahrt zum Hotel sah sie am Bahnhof ein Auto stehen. Noch bevor sie in Ken Boudreaus Auto anhalten konnte, sah sie die übereinander gestapelten Möbelkisten auf dem Bahnsteig. Sie sprach den Stationsvorsteher an – das Auto am Bahnhof gehörte ihm –, und der war von der Ankunft so vieler großer Kisten sehr überrascht und verärgert. Nachdem sie ihm den Namen eines Mannes mit einem Lastwagen – einem sauberen Lastwagen, darauf bestand sie – entlockt hatte, der zwanzig Meilen weit entfernt wohnte und manchmal Transporte machte, rief sie den Mann vom Bahnhofstelefon aus an und beschwor ihn, halb mit Bestechung, halb mit Befehlen, sofort zu kommen. Dann schärfte sie dem Stationsvorsteher ein, dass er bei den Kisten bleiben musste, bis der Lastwagen eintraf. Bevor es Zeit fürs Abendbrot wurde, war der Lastwagen gekommen, und der Mann und sein Sohn hatten alle Möbel abgeladen und in den Schankraum des Hotels getragen.
    Am nächsten Tag sah sie sich das Haus gründlich an, um einen Entschluss zu fassen.
    Am Tag danach hielt sie Ken Boudreau für fähig, sich aufzusetzen und ihr zuzuhören, und sagte: »Das hier ist ein Fass ohne Boden. Und die Stadt pfeift auf dem letzten Loch. Das Vernünftigste ist, alles, was noch Geld bringen kann, zu verkaufen. Ich meine nicht die Möbel, die gebracht worden sind, ich meine Sachen wie den Billardtisch und den Küchenherd. Dann sollten wir das Haus jemandem verkaufen, der Altmetall sucht und die Blechverkleidung haben will. Auch aus Zeugs, das man für völlig wertlos hält, lässt sich immer noch ein bisschen was rausschlagen. Und dann … Was wollten Sie eigentlich machen, bevor Sie an das Hotel geraten sind?«
    Er sagte, dass er daran gedacht hatte, nach British Columbia zu gehen, nach Salmon Arm, wo ein Freund von ihm saß, der ihm angeboten hatte, dort als Betriebsleiter von Obstplantagen zu arbeiten. Aber er konnte nicht hinfahren, denn das Auto brauchte neue Reifen, und vor einer so weiten Reise musste einiges daran gemacht werden, und sein Geld reichte nur fürs tägliche Leben. Dann war ihm das Hotel in den Schoß gefallen.
    »Wie ein Haufen Wackersteine«, sagte sie. »Die Reifen und die Autoreparaturen wären eine bessere Investition, als Geld in dieses Haus zu stecken. Ich halte es für eine gute Idee, von hier zu verschwinden, bevor der Schnee kommt. Und die Möbel wieder mit der Bahn zu verschicken, damit sie da sind, wenn wir ankommen. Wir haben alles, was wir brauchen, um uns häuslich niederzulassen.«
    »Sein Angebot ist vielleicht nicht ganz ernst gemeint.«
    Sie sagte: »Ich weiß. Aber es wird schon alles gut.«
    Er verstand, dass sie Rat wusste und dass es gut so war, dass alles gut werden würde. Man könnte sagen, jemand wie er war genau ihr Fall.
    Nicht, dass er ihr dafür nicht dankbar sein würde. Er war an einem Punkt angelangt, wo Dankbarkeit keine Last war, sondern etwas ganz Natürliches – besonders, wenn sie nicht eingefordert wurde.
    Gedanken an ein neues Leben keimten auf.
Das ist die Veränderung, die ich brauche.
Er hatte das schon öfter gesagt, aber einmal musste es doch stimmen. Die milden Winter, der Geruch immergrüner Wälder und reifer Äpfel.
Alles, was wir brauchen, um uns häuslich niederzulassen.
     
    Er hat seinen Stolz, dachte sie. Darauf musste Rücksicht genommen werden. Vielleicht war es besser, die Briefe, in denen er ihr sein Herz ausgeschüttet hatte, nie zu erwähnen. Vor ihrer Abreise hatte sie alle vernichtet. Tatsächlich hatte sie jeden vernichtet, sobald sie ihn oft genug gelesen hatte, um ihn auswendig zu können, was nicht lange dauerte. Denn sie wollte auf keinen Fall, dass diese Briefe je der kleinen Sabitha und ihrer verschlagenen Freundin in die Hände fielen. Besonders nicht die Stelle im letzten Brief, über ihr Nachthemd und wie sie im Bett lag. Nicht, dass so was nicht vorkam, aber es könnte für unanständig oder kitschig oder lächerlich gehalten werden, so was zu Papier zu bringen.
    Sie bezweifelte, dass er Sabitha oft sehen würde. Aber wenn er es unbedingt wollte, würde sie ihm nichts in den Weg legen.
    All das, dieses lebhafte Gefühl von Erweiterung und Verantwortung, war

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