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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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nicht, das ist nicht gut für Sie. Hier ist Toilettenpapier, da müssen Sie reinspucken. Wenn Sie das Zeug runterschlucken, kann das Ihre Nieren angreifen.«
    »Davon hatte ich keine Ahnung«, sagte er. »Könnten Sie mal nach Kaffee schauen?«
    Die Kaffeemaschine war innen schwarz. Sie reinigte sie, so gut sie konnte, und setzte den Kaffee auf. Dann wusch sie sich und richtete sich her, überlegte dabei, was sie ihm zu essen geben sollte. In der Speisekammer stand eine Schachtel mit Backmischung für Kuchenbrötchen. Sie fürchtete schon, sie mit Wasser anrühren zu müssen, doch dann fand sie eine Dose mit Milchpulver. Als der Kaffee fertig war, hatte sie ein Blech mit Kuchenbrötchen im Backofen.
     
    Sobald er sie in der Küche hantieren hörte, stand er auf, um auf die Toilette zu gehen. Er war schwächer, als er gedacht hatte – er musste sich vorbeugen und mit einer Hand auf dem Spülkasten abstützen. Dann suchte er sich unten im Flurschrank, wo er saubere Kleidung aufbewahrte, frische Unterwäsche. Er hatte sich inzwischen zusammengereimt, wer sie war. Sie hatte gesagt, sie sei gekommen, um ihm seine Möbel zu bringen, obwohl er weder sie noch sonst jemanden darum gebeten hatte – er hatte überhaupt nicht um die Möbel gebeten, nur um das Geld. Er müsste ihren Namen wissen, aber er konnte sich nicht daran erinnern. Deshalb machte er ihre Handtasche auf, die im Flur neben ihrem Koffer stand. Ins Futter war ein Namensschildchen eingenäht.
    Johanna Parry und die Adresse seines Schwiegervaters in der Exhibition Road.
    Auch anderes fand sich. Ein Stoffbeutel mit ein paar Geldscheinen. Siebenundzwanzig Dollar. Noch ein Beutel, mit Münzgeld, das er gar nicht erst nachzählte. Ein hellblaues Kontobuch. Er blätterte es automatisch auf, ohne irgendetwas Ungewöhnliches zu erwarten.
    Vor ein paar Wochen hatte Johanna endlich den Gesamtbetrag der Erbschaft von Mrs Willets ihrem Bankkonto gutschreiben können, zu dem hinzu, was sie angespart hatte. Dem Filialleiter hatte sie erklärt, sie wisse nicht, wann sie das Geld brauchen werde.
    Die Summe war nicht umwerfend, aber beeindruckend. Machte sie zu jemandem. In Ken Boudreaus Kopf formte sie ein weiches Polster um den Namen Johanna Parry.
    »Hatten Sie ein braunes Kleid an?«, fragte er, als sie den Kaffee heraufbrachte.
    »Ja. Als ich angekommen bin.«
    »Ich dachte, das war ein Traum. Aber das waren Sie.«
    »Wie in Ihrem anderen Traum«, sagte Johanna, und ihre fleckige Stirn lief feuerrot an. Er verstand nicht, was das bedeuten sollte, und hatte nicht die Kraft nachzufragen. Vielleicht ein Traum, aus dem er erwacht war, als sie nachts bei ihm war – einer, an den er sich nicht mehr erinnerte. Er hustete wieder, aber nicht mehr so krampfhaft, und sie reichte ihm Toilettenpapier.
    »So«, sagte sie, »wo wollen Sie den Kaffee hinhaben?« Sie rückte den Stuhl heran, den sie sich zurechtgestellt hatte, um ihm besser helfen zu können. »Dahin«, sagte sie. Sie griff ihm unter die Achseln, richtete ihn auf und stopfte ihm das Kissen in den Rücken. Ein schmutziges Kissen, ohne Bezug, aber sie hatte gestern Nacht ein Handtuch darum gewickelt.
    »Könnten Sie mal nachschauen, ob unten noch Zigaretten sind?«
    Sie schüttelte den Kopf, sagte aber: »Ich werde nachsehen. Ich habe Kuchenbrötchen im Backofen.«
     
    Ken Boudreau war es gewohnt, Geld zu verleihen, und ebenso, sich welches zu borgen. Viele der Schwierigkeiten, in die er geraten war – oder in die er sich gebracht hatte, um es anders auszudrücken –, hatten damit zu tun, dass er zu einem Freund nie nein sagen konnte. Man steht treu zu seinen Freunden. Er war nach dem Krieg nicht etwa unehrenhaft aus der Air Force entlassen worden, sondern hatte von sich aus den Dienst quittiert, aus Treue zu einem Freund, der vors Militärgericht gestellt worden war, weil er auf einem Kasinoabend den OvD beleidigt hatte. Auf einem Kasinoabend, wo doch angeblich jeder Witz erlaubt ist – das war nicht fair. Und er hatte die Stellung bei der Düngemittelfirma verloren, weil er mit einem Firmenlastwagen ohne Erlaubnis über die amerikanische Grenze gefahren war, noch dazu an einem Sonntag, um einen Kumpel abzuholen, der in eine Schlägerei verwickelt worden war und Angst hatte, festgenommen und verknackt zu werden.
    Fester Bestandteil der Freundestreue war sein Problem mit Vorgesetzten. Er gestand freimütig, dass es ihm schwer fiel, auf den Knien zu rutschen. »Ja, Sir« und »Nein, Sir« waren in seinem

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