Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
Mond scheint.«
»Es ist auch so schön hier.«
Er legte die Arme um sie, als gäbe es überhaupt nichts dagegen einzuwenden und als hätte er dafür alle Zeit der Welt. Er küsste sie auf den Mund. Es kam ihr vor, als sei sie zum ersten Mal in ihrem Leben an einem Kuss beteiligt, der ein Ereignis für sich war. Eine Geschichte, mit Anfang, Mitte und Ende. Ein zartes Vorspiel, ein wirksamer Druck, ein beherztes Erkunden und Entgegennehmen, ein ausgedehntes Dankeschön und ein befriedigter Rückzug.
»Oh«, sagte er. »Oh.«
Er drehte sie um, und sie gingen denselben Weg zurück, den sie gekommen waren.
»Sie waren also zum ersten Mal auf einer schwimmenden Brücke?«
Sie sagte ja.
»Und über die werden Sie jetzt fahren müssen.«
Er nahm ihre Hand und schwang sie, als wollte er sie in die Luft werfen.
»Und ich habe zum ersten Mal eine verheiratete Frau geküsst.«
»Und du wirst wahrscheinlich noch etliche von ihnen küssen«, sagte sie. »Ehe du fertig bist.«
Er seufzte. »Ja«, sagte er. Verwundert und ernüchtert von dem Gedanken an das, was vor ihm lag. »Ja, wahrscheinlich.«
Jinny musste plötzlich an Neal denken, dort drüben auf festem Boden, Neal, schwankend und verunsichert, der die Hand dem Blick der Frau mit dem hell gesträhnten Haar, der Wahrsagerin, öffnete. Der am Rande seiner Zukunft taumelte.
Nebensache.
Sie dagegen verspürte eine Art heiteres Mitleid, fast wie Gelächter. Einen Anflug von zärtlicher Fröhlichkeit, die gegen all ihre Wunden und Narben das Feld behauptete, einstweilen.
Erbstücke
Alfrida. Mein Vater nannte sie Freddie. Die beiden waren Vetter und Kusine, sie waren als Kinder auf benachbarten Farmen zu Hause gewesen und hatten dann eine Weile im selben Haus gewohnt. Eines Tages waren sie draußen auf den Stoppelfeldern und spielten mit dem Hund meines Vaters, der Mack hieß. Die Sonne schien zwar an dem Tag, aber das Eis in den Furchen brachte sie nicht zum Schmelzen. Die beiden stampften darauf herum und hatten Spaß daran, wie es knackte und splitterte.
Wie kann sie sich an so was erinnern?, fragte mein Vater. Sie hat sich’s ausgedacht, sagte er.
»Hab ich nicht«, sagte sie.
»Doch.«
»Nein.«
Ganz plötzlich hörten sie Glockengeläut und Sirenengeheul. Die Rathausglocke und die Kirchenglocken läuteten. Die Fabriksirenen heulten in der drei Meilen entfernten Stadt. Die Welt war vor Freude aus den Fugen, und Mack rannte zur Straße, überzeugt, dass eine Parade stattfand. Es war das Ende des Ersten Weltkriegs.
Dreimal die Woche konnten wir Alfridas Namen in der Zeitung lesen. Nur ihren Vornamen – Alfrida. Er war abgedruckt, als wäre er mit der Hand geschrieben worden, eine fließende Unterschrift wie mit dem Füllfederhalter. »Stadtbummel mit Alfrida«. Wobei mit der Stadt nicht das nahe gelegene Städtchen gemeint war, sondern die Großstadt weiter südlich, in der Alfrida lebte und die meine Familie vielleicht alle zwei oder drei Jahre aufsuchte.
Höchste Eisenbahn für Sie, liebe Bräute, die im Juni ihr Jawort geben wollen, sich im
Porzellanparadies
nach Ihren Vorlieben umzutun, und ich muss Ihnen gestehen, wäre ich eine Braut – was ich leider nicht bin –, ich würde wohl allen gemusterten Servicen widerstehen, so geschmackvoll sie sein mögen, und mich für das schneeweiße, ultramoderne
Rosenthal
entscheiden …
Schönheitskuren mögen kommen, und Schönheitskuren mögen gehen, aber die Gesichtsmasken, die man Ihnen in
Fantine’s Salon
aufträgt, bringen garantiert – da wir von Bräuten sprechen – Ihre Haut zum Blühen wie Orangenblüten. Und die Mutter der Braut – sowie die Tanten der Braut und nach allem, was ich höre, auch die Omas – werden sich danach fühlen, als hätten sie im Jungbrunnen gebadet …
Wenn man Alfrida reden hörte, wäre man nie auf die Idee gekommen, dass sie in diesem Stil schrieb.
Sie war auch eine von denen, die unter dem Namen Flora Simpson schrieben, auf der Flora-Simpson-Hausfrauenseite. Frauen aus den ländlichen Gegenden ringsum glaubten, sie richteten ihre Briefe an die mollige Frau mit dem von der Brennschere gewellten grauen Haar und dem verzeihenden Lächeln, die oben auf der Seite abgebildet war. Aber die Wahrheit – die ich nicht ausplaudern durfte – war, dass die Kommentare unter jedem ihrer Briefe von Alfrida produziert wurden sowie von einem Mann, den sie Pferd Henry nannte und der sonst die Nachrufe verfasste. Die Briefschreiberinnen gaben sich Namen wie
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