Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
Vom Netzwerk:
Eva. Der alte Quatsch.«
    Er schien deswegen nicht sonderlich beunruhigt zu sein – oder stärker provoziert als beispielsweise von der Krippe, die zu Weihnachten nicht vor der Kirche, sondern immer auf dem Rasen vorm Rathaus aufgebaut wurde. Auf Kirchengrund ging das an, sagte er, aber auf städtischem Grund war das ganz etwas anderes. Ninas Quäker-Religionsunterricht hatte Adam und Eva nicht besonders hervorgehoben, und als sie nach Hause gekommen war, nahm sie sich die King-James-Bibel vor und las sich die ganze Geschichte durch. Sie fand großen Gefallen am majestätischen Fortschritt dieser ersten sechs Tage – die Teilung der Wasser und die Einrichtung von Sonne und Mond und die Erscheinung von allerlei Gewürm auf der Erde und von gefiedertem Gevögel in der Luft und so weiter.
    »Das ist schön«, sagte sie. »Sehr poetisch. Man sollte das lesen.«
    Er sagte, das sei nicht besser oder schlechter als irgendeiner der zahlreichen Schöpfungsmythen, die in allen Ecken der Welt entstanden seien, und er habe es gründlich satt, zu hören, wie schön das sei und wie poetisch.
    »Das ist ein Rauchschleier«, sagte er. »Die scheißen was aufs Poetische.«
    Nina lachte. »Die Ecken der Welt«, sagte sie. »Wie kann ein Naturwissenschaftler so reden? Ich wette, das ist aus der Bibel.«
    Manchmal riskierte sie es, ihn auf diesem Gebiet zu necken. Aber sie musste aufpassen, nicht zu weit zu gehen. Sie musste vor dem Punkt auf der Hut sein, an dem sein Gespür für die tödliche Bedrohung, die entehrende Beleidigung einsetzen konnte.
     
    Hin und wieder fand sie Traktate in ihrer Post. Sie las sie nicht, und eine Weile lang dachte sie, dass alle so etwas bekamen, zusammen mit der ganzen Reklame, die einen Traumurlaub in der Südsee und andere prächtige Gewinne versprach. Dann stellte sie fest, dass Lewis in der Schule dieselben Schriften bekam – »kreationistische Propaganda«, wie er sie nannte, auf seinem Schreibtisch oder in seinem Fach im Lehrerzimmer.
    »Die Schüler haben Zugang zu meinem Schreibtisch, aber wer zum Teufel stopft mir das in mein Postfach?«, hatte er den Rektor gefragt.
    Der Rektor hatte gesagt, dass er nicht dahintersteige, er bekomme das auch. Lewis erwähnte die Namen von zwei Lehrern im Kollegium, zwei Krypto-Christen, wie er sie nannte, und der Rektor sagte, es sei nicht wert, sich deswegen auf die Hinterbeine zu stellen, man könne ja das Zeug einfach wegschmeißen.
    In der Klasse wurden Fragen gestellt. Das war natürlich schon immer so gewesen. Darauf war Verlass, sagte Lewis. Irgend so eine kleine krankhafte Heilige oder Klugscheißer beiderlei Geschlechts mit dem Versuch, die Evolution zu torpedieren. Lewis hatte seine Hauruckmethoden, damit umzugehen. Er sagte den Störern, wenn sie eine fromme Version der Erdgeschichte wollten, gäbe es in der nächsten Stadt die Christliche Sonderschule, die sie sicher gern aufnähme. Als die Fragen häufiger wurden, fügte er hinzu, dass es Busse gab, um sie hinzubringen, und dass sie noch heute, auf der Stelle, ihre Bücher einsammeln und aufbrechen konnten, falls ihnen danach der Sinn stand.
    »Und günstige Winde für Ihren …«, sagte er. Später gab es einen Streit – darüber, ob er tatsächlich das Wort »Arsch« gesagt oder es unausgesprochen in der Luft hatte hängen lassen. Aber selbst wenn er es nicht benutzt hatte, war das eine Beleidigung, denn jeder wusste, wie der Satz ergänzt werden konnte.
    Die Schüler verfolgten inzwischen einen neuen Kurs.
    »Nicht, dass wir unbedingt die religiöse Sichtweise haben wollen, Sir. Nur wir fragen uns, warum Sie ihr nicht ebenso viel Zeit widmen.«
    Lewis ging darauf ein.
    »Weil ich hier bin, um euch Naturwissenschaft beizubringen, nicht Religion.«
    Das, behauptete er, habe er gesagt. Einige berichteten aber, er habe gesagt: »Weil ich nicht hier bin, um euch Blödsinn beizubringen.« Und es war gut möglich, sagte Lewis, dass ihm nach der vierten oder fünften Unterbrechung, nach immer derselben Frage in leicht abgewandelter Form (»Meinen Sie, es schadet uns, auch die andere Seite des Ganzen zu hören? Wenn uns Atheismus beigebracht wird, ist das dann nicht auch eine Form von Religionsunterricht?«) das Wort über die Lippen gekommen sein könnte, und nachdem er so provoziert worden war, hielt er es nicht für notwendig, sich dafür zu entschuldigen.
    »Zufällig bin ich der Chef in diesem Klassenzimmer, und ich entscheide, was unterrichtet wird.«
    »Ich dachte, Gott ist der Chef,

Weitere Kostenlose Bücher