Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
wurde in der Bittschrift nicht erwähnt. Auch von Satan oder dem Antichrist war mit keinem Wort die Rede. Es wurde lediglich darum gebeten, der biblischen Schöpfungsgeschichte die gleiche Zeit zu widmen und sie respektvoll als eine Alternative zu behandeln.
»Wir, die Unterzeichneten, glauben, dass Gott zu lange außer Betracht geblieben ist.«
»Das ist Unsinn«, sagte Lewis. »Die glauben nicht an gleiche Zeit – die glauben nicht an Alternativen. Das sind nämlich Absolutisten. Faschisten.«
* * *
Paul Gibbings war zu Lewis und Nina ins Haus gekommen. Er wollte die Angelegenheit nicht an einem Ort besprechen, wo Spione lauschen konnten. (Eine der Sekretärinnen war Mitglied der Bibelkirche.) Er machte sich keine großen Hoffnungen, Lewis zum Einlenken zu bewegen, aber er musste es versuchen.
»Die haben mir die Daumenschrauben angelegt«, sagte er.
»Schmeißen Sie mich raus«, sagte Lewis. »Stellen Sie irgend so einen stumpfsinnigen Kreationisten ein.«
Dieser Mistkerl genießt das, dachte Paul. Aber er beherrschte sich. Wie es aussah, war er in diesen Tagen hauptsächlich damit beschäftigt, sich zu beherrschen.
»Ich bin nicht vorbeigekommen, um über so was zu reden. Ich meine, viele Leute werden denken, dass dieses Völkchen nichts Unvernünftiges verlangt. Darunter die Leute im Schulbeirat.«
»Machen Sie sie glücklich. Schmeißen Sie mich raus. Lassen Sie Adam und Eva aufmarschieren.«
Nina brachte ihnen Kaffee. Paul bedankte sich bei ihr und versuchte, ihren Blick aufzufangen, um zu sehen, welchen Standpunkt sie einnahm. Nichts da.
»Klar«, sagte er. »Das könnte ich gar nicht, selbst wenn ich wollte. Und ich will nicht. Die Gewerkschaft macht mir sonst die Hölle heiß. Es wäre in der ganzen Provinz rum wie ein Lauffeuer, könnte sogar einen Streikanlass abgeben, und wir müssen schließlich an die Kinder denken.«
Man sollte meinen, das müsste Lewis beeindrucken – wir müssen an die Kinder denken. Aber der befand sich wie üblich auf seinem eigenen Feldzug.
»Lassen Sie Adam und Eva aufmarschieren. Mit oder ohne Feigenblatt.«
»Alles, worum ich bitte, ist ein kleiner Vortrag, der darauf hinweist, dass es sich um eine andere Auslegung handelt und dass manche Menschen an das eine glauben und manche Menschen an das andere. Fassen Sie die Schöpfungsgeschichte zusammen in fünfzehn oder zwanzig Minuten. Lesen Sie sie vor. Aber bitte mit Respekt. Sie wissen doch, worum es eigentlich geht, oder? Diese Leute fühlen sich einfach nicht genügend beachtet. Die haben was dagegen, nicht genug beachtet zu werden.«
Lewis schwieg lange genug, um Hoffnung aufkeimen zu lassen – bei Paul, und vielleicht auch bei Nina, wer weiß? –, aber wie sich herausstellte, war dieses lange Schweigen nur eine Kunstpause, um deutlich zu machen, dass er die Ungeheuerlichkeit des Vorschlags sehr wohl bemerkt hatte.
»Wie wär’s?«, fragte Paul vorsichtig.
»Ich werde das ganze Buch Genesis vorlesen, wenn Sie wollen, und dann werde ich erklären, dass es nichts ist als ein Mischmasch aus Stammesselbstverherrlichung und Anleihen bei den theologischen Vorstellungen anderer, überlegener Kulturen …«
»Mythen«, sagte Nina. »Ein Mythos ist schließlich keine Unwahrheit, sondern nur …«
Paul fand es ziemlich zwecklos, ihr Aufmerksamkeit zu schenken. Lewis jedenfalls hörte gar nicht hin.
Lewis schrieb einen Brief an die Zeitung. Der erste Teil war maßvoll und sachkundig, beschrieb die Kontinentalverschiebung und die Öffnung und Abtrennung von Meeren und die wenig verheißungsvollen Anfänge des Lebens. Urmikroben, Ozeane ohne Fische und Himmel ohne Vögel. Werden und Vergehen, die Herrschaft der Amphibien, Reptilien und Dinosaurier; die Klimaschwankungen, die ersten kümmerlichen kleinen Säugetiere. Wege und Irrwege, der späte, kaum Erfolg versprechende Auftritt der Primaten, die Hominiden, die sich auf die Hinterbeine aufrichteten und aus dem Feuer schlau wurden, Steine schärften, ihr Revier markierten und schließlich, in einem Spurt, der noch gar nicht lange zurücklag, Schiffe und Pyramiden und Bomben bauten, sich Sprachen und Götter ausdachten und sich gegenseitig opferten und ermordeten. Sich darüber bekriegten, ob ihr Gott nun Jehova oder Krischna hieß (hier erhitzte sich die Sprache) oder ob es an der Tagesordnung war, Schweinefleisch zu essen, auf die Knie zu fallen und lautstark zu einem alten Zausel im Himmel zu beten, der sich brennend dafür interessierte, wer Kriege
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