Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
neuseeländisches Lehrerexamen. Nina erzählte ihm von der Stadt am Ostufer des Lake Huron in Kanada, wo sie als Kind Verwandte besucht hatte. Sie beschrieb die hohen Bäume entlang der Straßen, die schlichten alten Häuser, die Sonnenuntergänge am See – ein ausgezeichneter Ort für ihr gemeinsames Leben und ein Ort, in dem es wegen der Verbindungen zum Commonwealth für Lewis leichter war, eine Stellung zu finden. Sie fanden alle beide Stellungen an der High School – auch wenn Nina den Beruf ein paar Jahre später aufgab, als Latein abgeschafft wurde. Sie hätte an Weiterbildungskursen teilnehmen können, um andere Fächer zu unterrichten, aber sie war insgeheim ganz froh, nicht mehr im selben Haus und im selben Beruf wie Lewis zu arbeiten. Mit der Kraft seiner Persönlichkeit, seinen unkonventionellen Unterrichtsmethoden schuf er sich Freunde ebenso wie Feinde, und für sie war es erholsam, nicht mehr mitten im Kampfgetümmel zu stecken.
Sie schoben es immer wieder hinaus, ein Kind zu haben. Und sie vermutete, dass sie beide dafür ein wenig zu eitel waren – ihnen gefiel die Vorstellung nicht, in den etwas komischen und reduzierten Identitäten von Mama und Papa aufzugehen. Alle beide – aber besonders Lewis – wurden von den Schülern dafür bewundert, anders zu sein als die Erwachsenen zu Hause. Geistig und körperlich energischer, vielschichtiger und lebhafter, fähig, dem Leben Gutes abzugewinnen.
Sie trat einem Chor bei. Viele Auftritte fanden in Kirchen statt, und erst dann erfuhr sie, welch tiefe Abneigung Lewis gegen diese Orte hatte. Sie argumentierte, dass oft kein anderer geeigneter Raum zur Verfügung stand und die Musik deswegen keineswegs geistlich war (obwohl sich das schwerlich behaupten ließ, wenn es sich bei der Musik um den
Messias
handelte). Sie sagte, es sei altmodisch, und keine Religion könne heutzutage viel Schaden anrichten. Daraufhin begann ein fürchterlicher Streit. Sie mussten durchs Haus rennen und rasch die Fenster schließen, damit ihre lauten Stimmen an dem warmen Sommerabend nicht draußen auf dem Bürgersteig zu hören waren.
Ein derartiger Streit war aufreibend und legte nicht nur bloß, wie sehr Lewis nach Feinden Ausschau hielt, sondern, dass auch Nina unfähig war, von einer Auseinandersetzung abzulassen, selbst wenn sie heftig eskalierte. Keiner wollte nachgeben, beide hielten erbittert an ihren Prinzipien fest.
Kannst du nicht dulden, dass die Menschen verschieden sind, warum ist das so wichtig?
Wenn das nicht: wichtig ist, dann ist nichts wichtig.
Die Luft schien sich mit Hass aufzuladen. Alles in allem ein unauflöslicher Gegensatz. Sie gingen wortlos zu Bett und am nächsten Morgen wortlos auseinander, und im Laufe des Tages überkam beide die Angst – sie fürchtete, er werde nie mehr nach Hause kommen, er fürchtete, sie werde nicht da sein, wenn er nach Hause kam. Das Glück blieb ihnen jedoch hold. Sie trafen am Spätnachmittag aufeinander, beide bleich vor Zerknirschung, zitternd vor Liebe, wie Menschen, die mit knapper Not einem Erdbeben entronnen und in nackter Verzweiflung umhergeirrt waren.
Das war nicht das letzte Mal. Nina, in so friedfertiger Atmosphäre aufgewachsen, fragte sich, ob das noch ein normales Leben war. Sie konnte mit ihm nicht darüber reden – ihre Wiedervereinigungen waren zu wohltuend, zu zärtlich und albern. Er nannte sie Nina-Messalina, und sie nannte ihn Schönwetter-Lewis.
* * *
Vor einigen Jahren waren Plakate eines neuen Typs am Straßenrand aufgetaucht. Lange Zeit hatten da Schilder mit Plakaten gestanden, die zur Bekehrung drängten, und dann solche mit großen rosa Herzen und einer immer flacher werdenden Kurve der Herzschläge, die von Abtreibungen abschrecken sollten. Jetzt dagegen erschienen Texte aus der Genesis.
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht.
Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde. Und schuf sie einen
Mann und ein Weib.
Meistens war neben die Worte ein Regenbogen oder eine Rose oder irgendein Symbol paradiesischer Schönheit gemalt.
»Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte Nina. »Wenigstens ist es mal was anderes als ›Also hat Gott die Welt geliebt‹.«
»Das ist dieser Kreationismus«, sagte Lewis.
»Darauf bin ich auch schon gekommen. Ich meine, warum steht das überall auf Plakaten?«
Lewis sagte, es gebe jetzt eine regelrechte Bewegung, den Glauben an die wörtliche Auslegung der Schöpfungsgeschichte hochzuhalten.
»Adam und
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