Himmel und Hölle
unseren dünnen Kitteln hinaus in die Eiseskälte.
»Den Rest können wir dann drinnen machen!«, rief ich Verena zu.
Leider hatten wir keinen Rollstuhl dabei, denn wir waren davon ausgegangen, dass sich die Frau noch von uns aufheben und ins Warme bringen lässt. Sie erwies sich aber als extrem unkooperativ und wollte gar nichts mehr machen, weder aufstehen noch uns hilfreiche Mitteilungen über den Verlauf ihrer Schwangerschaft machen. Sie wollte nur noch niederkommen. Auf der Stelle.
Inzwischen hatten sich natürlich eine Menge Schaulustige auf dem Parkplatz versammelt. Es war so gegen sechs Uhr abends, beste Besuchszeit und natürlich schon dunkel, weil ja tiefster Winter war.
Ich hockte schlotternd und fröstelnd mit Verena vor der jungen Frau. Sie war extrem dick, folglich schwer, und wir zwei dünnen Mädchen konnten diesen Riesenbrocken nicht allein aus der Parklücke zerren. Also baten wir zwei der umstehenden Männer, sie wenigstens auf den Rasen zu ziehen, denn da wäre dann auch eine Laterne.
Die Frau wollte aber nicht weggezogen werden und schrie uns an, sie könne nicht mehr, und wir sollten endlich was unternehmen!
Nun ja, das einzig Hilfreiche, was wir unternehmen konnten, war, ihr mit vereinten Kräften die Hose auszuziehen, was kein leichtes Unterfangen war.
Ich fand es angebracht, den Leuten zu sagen, sie sollten bitte weitergehen. Zur Kreuzigung bitte nach rechts, und jeder nimmt nur ein Kreuz. Zur Geißelung bitte nach links, die Peitschen sind nach Größe und Farbe sortiert … Wir verloren wertvolle Zeit, die Leute wegzuschicken.
Die Frau war nicht mehr in der Lage, sich auf eine Bahre zu legen, aber das wäre ihr vermutlich auch in unschwangerem Zustand nicht gelungen. Das war so ein Oberpfälzer Brummer, geschätzte hundertvierzig Kilo, da waren die paar Pfund, die das Baby ausmachte, nicht weiter aufgefallen. Deshalb war sie ja auch so von den Socken, als das Köpfchen bereits in der Scheide
steckte! Die Fruchtblase entleerte sich auf den Parkplatz, und Verena und ich waren schon ganz blau angelaufen vor Kälte. Von den Umstehenden, die natürlich höchst widerwillig gerade mal zwei Meter weit weg gewichen waren, kam niemand auf die Idee, uns mal ein Mäntelchen zu borgen oder eine Wolldecke aus dem Auto zu holen. Aber eine Videokamera wird bei solchen Anlässen gerne geholt, auch mit dem Handy macht man schnell mal ein paar Schnappschüsse.
Das Kind kam zwischen Abgasen im Schneegestöber zur Welt. Ich schnappte mir das winzige Bündel, steckte es unter meinen Kittel und rannte auf meinen Schlappen in die Klinik, während ein Pfleger endlich einen Rollstuhl für die Frau brachte.
Na, die hatte was zu erzählen an diesem Abend!
»Stellt euch vor, Mama und Papa, am Middaach hadd ich so’n Ziehn im Mage, da deng ich, habb ich was Falsches gegessn? War’s der fünfte Bicmäc, odä war die vierte Pizza schläscht, die ich zum Frühstück gegesse hab? Die Nürnburger vom Uli Hoeneß oder die Sahnedodde? Und jetzt hab isch’n Bobbele!«
So, ihr Lieben. Genug von den heiteren Geschichten aus meiner Kleinstadtklinik in der Oberpfalz. Das waren alles Begebenheiten, die noch in meiner bewegten Zeit bei Professor Aigner stattgefunden hatten, an den ich immer wieder denken musste.
22
Bei meinem unrühmlichen Abschied hatte ich dem Professor ja versprochen, ihm unter keinen Umständen mehr unter die Augen zu treten.
Jetzt war ich wieder in der 32. Woche schwanger, diesmal mit ZWILLINGEN. Deshalb kam ich extra schon vor halb acht in meine Praxis, um noch vor dem Ansturm der Helferinnen und Patientinnen die Länge meines Muttermundes zu überprüfen. So einfach ist das gar nicht, sich selbst zu schallen! Natürlich waren wieder Kontraktionen auf dem CTG. Das heißt, ich hatte wieder mal verfrüht Wehen. Das war ja für mich nichts Neues. Ich schloss also am Abend die Praxis hinter mir ab und fuhr ins Klinikum. Wie gern hätte ich meinen guten alten Professor Aigner in der Oberpfalz angesteuert, aber mit dem war ich verkracht.
Also bog ich am Autobahnkreuz nicht in MEINE Frauenklinik nach rechts, sondern nach links Richtung Westen ab. Leider. Und damit nahm ein fürchterliches Unglück seinen Lauf.
Denn hätte Professor Aigner sich meinen Gebärmutterhals zu diesem Zeitpunkt mal in Ruhe angesehen: Mir wäre wahrscheinlich viel erspart geblieben.
»Liebe Frau Kollegin, da sind ja schon kleine Wehen
auf dem Wehenschreiber!«, sagte die diensthabende Ärztin, die ich nicht
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