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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Bereitschaftszimmer einen Anruf:
    »Isch blude.«
    »Gute Frau, aus welcher Öffnung?« Hätte ja auch sein können, dass ihr Alter ihr eine geklebt hatte. Uns ist nichts fremd.
    »Na da underum.«
    »Haben Sie Ihre Periode?« Ich dachte, wenn das jetzt eine starke Periode ist, und die ruft mich nachts um drei an, dann gibt’s aber Ärger.
    »Aigendlesch net.«
    »Sind Sie schwanger?«, fragte ich ahnungsvoll.
    »Im achdn Monat.«
    »Sie müssen sofort kommen!«
    »Das geht nicht, ich habe vier kleine Kinder.«
    »Und Ihr Mann? Soll der auf sie aufpassen!«
    »Geit net. Der hat Nachtschicht.«
    »Dann rufen Sie ihn halt, Herrgott noch mal! Sie kriegen ein Kind!«
    »Das interessiert die von dem seina Abbeitsstelln fei net. Wenn der von de Schicht abhaud, is er sein Job fei los.«
    »Aha«, sagte ich. Ich musste erst mal tief durchatmen. »Hören Sie? Sie gehen jetzt zu Ihrem Nachbarn.«
    »Geit net. Mit den Nachbarn hammer Knatsch.«

    »Bitte!«, rief ich in den Hörer. »Sie kommen jetzt her! Rufen Sie sich ein Taxi!«
    »Des ko i mer fei net leistn!«
    »Dann werfen Sie jetzt mal einen Blick in Ihren Mutterpass und lesen mir vor, was in der Rubrik ›zu erwartende Risiken ‹ steht.«
    »Ich hab kain Muddäpass net.«
    Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie gesagt hätte: »Ich kann net lesn.«
    »Bitte? Wollen Sie mir damit sagen, dass Sie überhaupt nicht bei der Vorsorge waren?«
    »Ich hab kai Zait und kai Geld net für so was.«
    »Die Vorsorge übernimmt die Krankenkasse!«
    »Aber net maine vier Kinda.«
    »Nä«, sagte ich und verfiel ganz automatisch in ihren fränkischen Dialekt, »da ham se recht.« Ich kratzte mich am Hinterkopf.
    »Aber wann kommt Ihr Mann denn wieder?«
    »Um sechse«, sagte die Frau und legte auf.
    Die Frau ist nicht gekommen.
    Ich tigerte die ganze Nacht nervös vor der Notaufnahme herum. Wenn die im achten Monat blutete, dann war da was faul! Das würde keine problemlose Geburt werden! Vorsichtshalber rief ich Fabian, den Oberarzt, an.
    »Wir haben wahrscheinlich eine Placenta previa !«
    Jeder Nichtmediziner würde antworten: »Hä? Spinnst du? Es ist vier Uhr früh, und was ist überhaupt eine Placenta previa ?« Dann würde ich mühsam erklären, dass der Mutterkuchen nicht günstig
liegt, sich in der Nähe des Gebärmutterhalses eingenistet hat und den Geburtskanal verdeckt. Das macht eine Abklärung erforderlich, auch wenn die Blutung relativ schmerzlos ist und sich keine Wehen einstellen müssen.
    Aber so ein Oberarzt, der weiß das natürlich. Der springt aus dem Bett und stellt keine weiteren Fragen. Wir warteten also zu zweit auf die Patientin, und nachdem wir Verena, die Hebamme, aufgescheucht hatten, zu dritt.
    Morgens um halb sieben fuhr sie vor. Eine vorzeitig gealterte Frau mit grauem strähnigem Haar und zwei fehlenden Zähnen. Am Steuer ihres rostigen Kleinwagens.
    Wir halfen ihr beim Aussteigen. Sie blutete wie ein abgestochenes Schwein unter ihrem abgerissenen Mantel. Kaum hatten wir sie auf den Gyn-Stuhl gezerrt, wurde sie ohnmächtig. Wir rissen ihr die Klamotten vom Leib und schnitten einfach ihre Strumpfhose auf. Wehen hatte sie keine, aber der Mutterkuchen hatte sich gelöst. Darum musste das Kind raus. Es ging um Sekunden. Zum Glück hat der Fabian dann einen Notkaiserschnitt gemacht. Die Frau hatte einen HB von sechs, normal ist vierzehn. Ich meine den Hämoglobinwert. Hämoglobine sind ein Bestandteil der roten Blutkörperchen und verleihen dem Blut seine rote Farbe. Man hätte zum HB-Männchen werden und über so viel Unverstand in die Luft gehen können, wenn die Sache nicht so traurig gewesen wäre. Wenn sie rechtzeitig in die Klinik gekommen wäre, hätten wir den Kaiserschnitt
in Ruhe und ohne ein so großes Risiko für ihr Kind hinbekommen. Aber sie hatte ja Krach mit dem Nachbarn.
     
    Einmal hat eine sehr dicke junge Frau direkt auf dem Parkplatz vor der Klinik entbunden. Sie war ganz überrascht über diesen unvorhersehbaren kleinen Zwischenfall, denn sie wusste gar nicht, dass sie schwanger war!
    Wir wurden von einem Passanten geholt. »Da draußen liegt eine, die krümmt sich vor Schmerzen! Ich glaube, die kriegt ein Kind!«
    Im Gegensatz zur Sauna-Geburt der Alternativen hatte sich diese Frau eine Temperatur von minus acht Grad für ihre Niederkunft ausgesucht. Sie war wegen akuter Bauchschmerzen auf dem Weg ins Krankenhaus gewesen, vermutlich dachte sie, es sei der Blinddarm. Verena und ich schnappten uns ein Abnabelungs-Set und rannten in

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