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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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schaffst das.«
    »Kannst du nicht wenigstens einmal am Tag mit den Kindern vorbeikommen?«
    »Wie denn, mein Liebes? Ich fahre im Schnitt dreihundert Kilometer am Tag. Und seit dem Unfall bemühe ich mich, nie schneller als hundertsechzig zu fahren. Wie soll ich es da bloß schaffen, mit den Kleinen ins Krankenhaus zu kommen?«
    »Ich habe solche Sehnsucht nach meiner Mini und meinem Konstantin!«
    »Dann beeil dich, und komm bald nach Hause!«
    Ja. So waren unsere Telefonate.
    Er war auch noch nach zehn Ehejahren meine ganz große Liebe, aber der Alltag schlug schon verdammt heftig mit seiner unromantischen Keule dazwischen. Es war wieder mal eine Bewährungsprobe. So dachte ich. »Nur mal wieder« eine Bewährungsprobe …
    Dass mein Leben und das meiner Zwillinge gefährdet war und damit natürlich auch das von Stefan und den beiden Kindern zu Hause, war mir nicht bewusst,
als ich mich in dem fremden Krankenhaus langweilte.
    Ich musste wieder mal liegen, liegen, liegen. Wegen meines Krachs mit Aigner noch nicht mal in der mir vertrauten Klinik. Hier, wo ich niemanden kannte und allen nur auf den Wecker ging, musste ich oft mit den Tränen kämpfen. Das - so schwor ich mir grimmig, als ich wieder mal nach der Bettschüssel klingelte -, das ist meine letzte Schwangerschaft!
    Und diesmal sollte ich recht behalten.

23
    Eine russische Krankenschwester nahm sich meines Elends an.
    »Sie sich müssen Zeit verkürzen«, schlug sie freundlich vor, als ich wieder mal vor Langeweile das Abc rückwärts aufsagte.
    »Ja, gern. Aber wie? Das erste Staatsexamen habe ich schon, das zweite und dritte auch, gefolgt von Doktorarbeit, Approbation, einer Praxis …« Ich zählte an den Fingern auf, womit ich mir sonst immer die Zeit vertrieben hatte, wenn ich wegen vorzeitiger Wehen wochenlang liegen musste.
    »Stricken!«, rief die Russin freudig.
    »Hä?«
    »Ja! Stricken von süße kleine Pullover und Stramplerchen!«
    Auch wenn ich das wirklich für eine Riesenzeitverschwendung halte, neben Kreuzworträtsellösen und Puzzlelegen, äußerte ich Interesse.
    »Aber ich kann nicht stricken!«
    »Bringe iche Ihne bei!«
    Und so kam es, dass ich auf meine Tage mit 35 auch noch das Stricken lernte. Und zwei Pullover, eine Strickjacke und drei Paar kleine Schuhe zustande brachte.

    Meine Mutter, die inzwischen in Hamburg eine Eins-a-Pleite mit ihrem Spielzeuggeschäft hingelegt und in Berlin noch mal bei null mit einem kleinen Kinderparadies angefangen hatte, schickte mir Vitamine, denn das Krankenhausessen war nicht genug.
    Ausgerechnet jetzt, wo ich meine Mutter so dringend gebraucht hätte, konnte sie überhaupt nicht weg. Sie kämpfte wie eine Löwin um ihre neue Existenz in Charlottenburg. Alles war zu organisieren, angefangen von der neuen Berliner Wohnung über das neue Spielzeuggeschäft bis hin zu ihrer Beziehung zu meinem Vater, der mit seinem Verband mit der Bundesregierung nach Berlin umgezogen war und jetzt in den Ruhestand ging. Ich freute mich für beide, denn endlich mussten sie keine Fernbeziehung mehr führen. Beide Eltern hörten nur immer bruchstückhaft am Telefon, was Stefan meinem Vater so über unser sehr bewegtes Leben berichtete. Und so gern sie uns mit den Enkeln geholfen hätten: Sie waren beide unabkömmlich.
    Auch meine fränkischen Schwiegereltern waren leider kaum verfügbar. So hatten wir also von beiden Eltern keine Hilfe zu erwarten. Schade eigentlich.
    Ich lag also taten- und nutzlos in meinem Einzelzimmerbett und strickte wie verrückt, wobei ich die ganze Zeit an meine Lieben dachte. Noch nicht mal um meine beiden Großen konnte ich mich kümmern! Sie waren inzwischen vier und bald drei, und auch wenn wir mit Nicole das beste Kindermädchen der Welt gefunden hatten, so war doch ICH ihre Mutter!
    Das schlechte Gewissen meinen Kindern gegenüber,
die Sehnsucht nach meinen beiden Süßen, die sowieso schon so oft auf ihre Mami verzichtet hatten, fraß mich fast auf. Wenn ich zu tun hatte, in der Praxis eine Patientin nach der anderen untersuchte, hatte diese Sehnsucht gar keine Chance, mich zu verzehren. Aber hier war ich ihr brutal ausgeliefert.
    Wie war mein Leben bis jetzt verlaufen? Hektisch. Schnell. Schneller. Ohne jede Cappuccino-Pause. Und jetzt? Zwangspause. Warum konnte und durfte ich sie denn nicht mit den Kindern verbringen? Mein Herz krampfte sich zusammen. Ich zwang mich, nicht schon wieder loszuheulen. Sehnsucht! Heimweh! Ich wollte die Händchen meiner Kinder auf meinen Wangen spüren!

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