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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Ihren süßen Atem riechen. Ihr Geplauder hören. Doch da war nichts, nur Leere.
    Ich sah auf die Uhr. Kurz vor zwölf. Wie gern hätte ich jetzt die Minimaus aus dem Kindergarten geholt und wäre dann mit ihr und Konstantin auf den Spielplatz gegangen … Ich wischte mir die Augen und starrte an die Decke. Durchhalten, Konstanze! Träum dich ans Ziel. Du hältst deine gesunden, wundervollen Zwillinge im Arm. Träum dich in ein warmes, gemütliches Zuhause mit vier Kindern. Ihr sitzt alle zusammen auf dem Sofa. Du stillst die Zwillinge. Die beiden Großen streichen ihnen zärtlich übers Köpfchen. Stefan steht daneben und strahlt vor Glück. Er stopft dir fürsorglich ein Kissen in den Rücken. Er küsst dich. Stolz und zärtlich. Träum es. Fühl es. Noch drei Wochen. Du schaffst das.
    »Konstanze, was ich hier sehe, macht mich stutzig.«

    Die Kollegin, die mich hier im Klinikum betreute, machte gerade einen Ultraschall. »Das Blutbild war ja eigentlich okay, und die Blutwerte waren es auch.« Mit sorgenvollem Gesicht fuhr sie weiter mit dem Schallkopf über meinen Riesenballonbauch. »Das sieht nicht gut aus. Das sieht gar nicht gut aus!«
    »Was ist los, Susanne?«
    »Dein einer Zwilling scheint einen Nierenstau zu haben.«
    »Oh, bitte, bitte nicht schon wieder Komplikationen …«
    »Es ist ein Junge und ein Mädchen. Der Junge hat Probleme.«
    Ich schloss die Augen. Konnte es denn nicht EINMAL ganz normal sein? Wie bei allen anderen auch? Ich lag doch nun schon so lange hier rum!
    »Wir sollten die Geburt morgen einleiten«, entschied Susanne. »Du bist jetzt in der 35. Woche. Da können wir das verantworten.«
    Ich versuchte mich aufzusetzen, plumpste aber wie ein gestrandeter Wal in das Kissen zurück.
    »Morgen geht gar nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Hitlers Geburtstag!«
    »Meine Güte, Konstanze! Der 20.4. ist zwar Hitlers Geburtstag, aber bis übermorgen können wir nicht mehr warten! Dein Sohn ist gefährdet!«
    »Dann entbinde ich heute.«
    »Konstanze! Das schaffst du heute nicht mehr. Wenn wir jetzt anfangen mit wehenfördernden Mitteln
…«, Susanne sah nervös auf die Uhr, »… wird es womöglich Mitternacht, und dann kommen sie doch an Hitlers Geburtstag zur Welt.«
    »Lass mich Stefan anrufen«, bat ich. »Geh mal fünf Minuten raus.«
    Stefan. Der wusste immer Rat. Der behielt selbst in den schwierigsten Situationen einen kühlen Kopf.
    Auch Stefan war dafür, die Kinder noch am selben Tag zur Welt zu bringen. Und zwar per Kaiserschnitt. Schnell und sicher.
    »Wenn unser Sohn Probleme hat, dann jetzt und sofort. Wir warten nicht. Ich komme.«
    Ich hörte ihn mit quietschenden Reifen wenden. Auch ich war jetzt für einen sofortigen Kaiserschnitt. Nicht nur, damit die Sache noch heute über die Bühne ging, sondern weil ich plötzlich so ein ungutes Gefühl hatte.
    Ich hatte meine Befunde nie gesehen, konnte mir ja schlecht selbst in die Scheide schauen. Trotzdem. Ich hatte so ein Gefühl. Natürlich wusste ich nicht, dass ich Gebärmutterhalskrebs hatte. Aber eine Frau, die mit einem Zervixkarzinom, also Gebärmutterhalskrebs, durch die Scheide entbindet, läuft Gefahr, dass Krebszellen in die Blutbahn geraten.
    Ich war im achten Monat. Mit Zwillingen.
    Hätten wir den Verdacht im vierten oder fünften Monat gehabt, hätten mich die Kollegen vor die Wahl gestellt: die Zwillinge oder du. Hätte, würde, könnte … Aber es geschah, was geschah. Heute bin ich fast dankbar, dass ich es nicht gewusst habe. Dass ich diese
Entscheidung nicht treffen musste. Ich hätte es nicht fertiggebracht, die Kinder zu töten.
    So habe ich die Zwillinge noch am selben Tag entbunden, am Montag, den 19. April 2004, per Kaiserschnitt in SSW 36 plus 3.
    Am Freitag drauf fuhr ich mit den vier Tage alten Babys Charline und Carlos nach Hause. Schließlich warteten dort meine zwei Großen auf mich, und mich zog es mit aller Gewalt zu ihnen. Im Krankenhaus hatte ich lange genug herumgelegen.
    Natürlich hatten sie noch Stefan und Nicole. Aber ich war ihre Mama. Sie hatten mich vier Wochen lang kaum gesehen.
    Doch statt mich nun in aller Ausführlichkeit und Liebe um sie zu kümmern, waren da jetzt die Zwillinge. Ich selbst schleppte mich mit einer riesigen Bauchwunde durchs Haus. Wie sollte ich meinen Kleinen klarmachen, dass ich wieder mal nicht mit ihnen spielen, toben, schmusen, Kuchen backen, Schuhe kaufen, auf den Spielplatz gehen konnte - das ganze Programm?
    Die Zwillinge mussten alle zwei Stunden gestillt werden,

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