Himmel und Hölle
dass sich auch Stefan vermehrt in die Arbeit stürzte. Jetzt hatte er endlich seinen wohlverdienten Erfolg und konnte sich vor Aufträgen kaum retten. Längst verkehrte er mit Unternehmenslenkern und politischen Größen, die auf seinen klugen Rat hörten. Er ging morgens in feinstem Tuch und Zwirn aus dem Haus und fuhr natürlich den schnellen, repräsentativen Wagen. Aber seine Schläfen wurden jetzt schnell grau.
Mir selbst blieb der klapprige Volvo, dessen Fahrertür festgerostet war und den man nur durch die Beifahrertür besteigen konnte. Für einen neuen Zweitwagen war uns gerade das Kleingeld ausgegangen. Bei Nicole sah das ja auch immer ganz entzückend aus, wie sie da so über den Gangschaltungsknüppel krabbelte, aber ich selbst quälte mich wie ein ausgeleierter Sack in die Karre und wieder hinaus. Wenn wir mit den vier Kindern irgendwohin wollten - und sei es nur zum Altpapiercontainer oder zum Sandkasten in den Park -, brauchten wir schon eine Weile, bis alle über den Beifahrersitz ins Auto verfrachtet worden waren.
Nicole war jung und unglaublich belastbar. Ich selbst hatte in dieser Phase ganz schön Federn gelassen. Körperlich und nervlich. Obwohl ich mir das natürlich nur ungern eingestand.
»Stefan, ich glaube, ich pack das nicht!«, stöhnte ich beim Einparken ins Handy. »Mir ist dauernd schlecht. Ich könnte vor Schwindel umkippen oder hundert Jahre lang schlafen!« Die Unterhaltungen mit Stefan fanden sowieso oft nur noch per Handy statt.
»Natürlich packst du das, Konstanze! Wenn nicht du, wer dann?«
»Ich habe gerade wieder die Großen im Kindergarten abgeliefert. Das waren Dramen, die sich da abgespielt haben! Die Mini hat so geschrien, und Konstantin hat gebrüllt, dass mir fast das Trommelfell geplatzt ist! Jetzt habe ich so einen Dauerton im Ohr, und es dreht sich alles.«
»Unsere Kinder sind zäh. Die schaffen das.«
»Im Wartezimmer sitzen drei Problemschwangerschaften, eine Missbildungskandidatin, die von ihrem Schicksal noch nichts weiß, und fünf Vorsorgepatientinnen!«
»Iss erst mal was, Konstanze! Wenn du umkippst, hilft das den Patientinnen auch nicht weiter!«
»Stefan? Fährst du wieder zweihundertzehn?«
»Nein, Konstanze, spätestens ab 160 gehe ich vom Gas!« Ich hörte ihn runterschalten, anschließend fuhr er mit seinen Durchhalteparolen fort.
»Aber ich habe das Gefühl, dass ich mich zerreißen muss! Ich werde keinem mehr gerecht! Weder dir noch den Kindern, noch der Praxis, noch mir selbst!« Trotzig blinzelte ich eine Träne weg. Verdammt! Jetzt hatte ich den Hintermann doch beinahe angeparkt. Warum SAH ich in letzter Zeit bloß alles so verschwommen?
Stefan schaltete wieder einen Gang höher.
»Stefan? Hast du noch einen Moment?«
»Klar, Konstanze. Aber dann habe ich eine Unterredung in der Staatskanzlei von Hessen. Es geht wieder um die Baunutzungsverordnung und so …«
»Stefan … Ich blute!«
»Wie, du blutest!?«
»Na, da unten!«
»Du bekommst halt wieder deine Periode, mein Schatz. Siehst du, das Leben geht weiter! Alles kommt wieder in natürliche Bahnen.«
»Stefan, ich stille! Da ist es extrem ungewöhnlich, schon wieder die Periode zu bekommen!«
»Du musst es ja wissen!« Stefan parkte irgendwo mit Karacho rückwärts ein.
Ich hörte jemanden hupen.
»Das ist nicht normal, Stefan, irgendetwas stimmt da nicht.«
»Meine Süße ist doch immer für eine Überraschung gut!« Stefan warf die Autotür zu und kramte irgendetwas aus dem Kofferraum. »Liebes, ich hab hier gerade Stress mit jemandem, der die Parklücke auch wollte! Ich ruf dich wieder an!«
In dem Moment kam sowieso schon Nicole mit den Zwillingen angaloppiert. Die brüllten wie am Spieß, weil sie Hunger hatten. Ich hatte auch Hunger. Aber wann hätte ich noch essen sollen? Und Stefan - wir hätten gar nicht weiterreden können.
»Du, Anja? Hast du mal eine Sekunde Zeit für eine alte Kollegin?«
»Konstanze! Was für eine Überraschung! Dass du überhaupt noch Zeit zum Telefonieren hast! Wie geht es der vierfachen Mutter mit der eigenen Praxis?«
»Das würde ich dich gerne fragen!«
»Was soll das heißen - du bist doch nicht schon wieder schwanger?!«
Anja gluckste am anderen Ende der Leitung fröhlich vor sich hin. »Du bringst es fertig und kriegst jetzt Drillinge …«
Sie war meine liebe Kollegin bei Professor Aigner gewesen und hatte sich inzwischen ebenfalls mit einer eigenen Praxis selbstständig gemacht.
Ich hatte mich lange nicht getraut,
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