Himmel und Hölle
sie anzurufen, weil alles, was mit Professor Aigner zu tun hatte, verbrannte Erde für mich war. Mein Zerwürfnis mit ihm hatte sich in unseren Kreisen natürlich herumgesprochen, und ich kam mir wie eine Ausgestoßene vor. Irgendwie hatte ich mir eingebildet, sie würde gleich wieder auflegen und gar nicht mit mir reden.
Aber das tat sie. Und zwar ausgesprochen nett.
»Man hört ja überall, wie super deine Praxis läuft! Da könnte man glatt vor Neid erblassen. Wie du das alles schaffst!«
»Kann ich möglichst bald bei dir vorbeikommen?«
»Zum Quatschen oder … Du klingst gar nicht gut, Konstanze!«
»Na ja, ich hab da so ein komisches Gefühl!«
»Was soll das heißen? Rede Klartext, Konstanze!«
»Ich habe Blutungen und fühle mich hundsmiserabel.«
»Komm sofort her!«
25
Keine zwanzig Minuten später stand ich bei Anja auf der Matte.
Wie oft hatte ich als Ärztin einer Patientin in die Augen gesehen und gewusst: Da stimmt was nicht. Und nun stand ich Anja gegenüber. Und sie spürte es auch. Sie umarmte mich stumm und wies mir den Weg ins Behandlungszimmer.
Ohne ein Wort zu sagen, machte ich mich untenrum frei und legte mich auf ihre Ultraschall-Liege.
Anja schallte lange. Dann untersuchte sie mich vaginal. Ihre Pupillen verengten sich.
Nachdem wir im Ultraschall Zysten an den Eierstöcken und eine hoch aufgebaute Schleimhaut der Gebärmutter als Blutungsquelle ausgeschlossen hatten und auch keine Entzündung vorlag, die zu Blutungen führen kann, blieb nur noch der Krebsabstrich.
Ich hatte Herzrasen wie noch nie zuvor im Leben. Bitte nicht, lieber Gott!, dachte ich. Bitte nicht noch das.
Anja spürte meine Panik und drückte meinen Arm. »Mädchen, nun mach dir mal nicht gleich ins Hemd. Du nimmst jetzt Hormonzäpfchen gegen diese Blutungen, und dann wird die Sache wieder.«
»Und wenn nicht …?«
»He, seit wann sind wir so pessimistisch?«
»Und wenn NICHT?«
»Dann machen wir einen Abstrich. Und untersuchen die Gewebezellen auf HPV.«
Genau über diese humanen Papillomviren hatte ich erst im letzten Jahr bei meiner Facharztprüfung gesprochen. Sie waren mein Spezialthema, das ich mit traumwandlerischer Sicherheit heruntergespult und damit meine Prüfer schwer beeindruckt hatte. Puh, wir würden doch jetzt nicht etwa bei mir SELBST feststellen, dass dieses scheißkrebsauslösende Virus sich an meiner Gebärmutter festgesetzt hatte? Dass ich den berüchtigten Gebärmutterhalskrebs hatte, diese widerliche Sorte von hinterhältigem Krebs, gegen den ich heute schon jede Zwölfjährige impfe, die mir unter die Augen kommt, weil man, nein FRAU sich dieses Krebsvirus beim Geschlechtsverkehr holen kann? Denn HEUTE gibt es die entscheidende Impfung! Heute gibt es die kleine Spritze, die Rettung! DAMALS gab es sie NICHT!
Ich spürte es längst. Jetzt wollte ich Gewissheit.
»Pass auf, Anja, ich brauche keine Hormonzäpfchen, die Blutungen verhindern. Das zögert die ganze Sache nur hinaus. Noch sieben Tage Ungewissheit kann ich mir nicht leisten. Mach den Scheiß-Test sofort. Jetzt, auf der Stelle.«
Anja sah mich lange an. »Was sagt der Aigner?«
»Keine Ahnung«, sagte ich ungeduldig. »Du weißt, dass ich mit ihm nichts mehr zu schaffen habe.«
»Der war doch wirklich ein toller Mann.« Anjas Blick schweifte in die Ferne. »Ich weiß nicht, ob ich es dir je erzählt habe, aber auf einem Kongress habe ich mich mal beinahe in ihn verknallt. Und zwar so sehr, dass ich auf der Rückfahrt aus Versehen die Autobahnausfahrt verpasst habe …« Anja schmunzelte in Erinnerung an ihre damalige Verwirrung.
»Hallo? Würdest du bitte aufhören, von einem grau melierten Kerl zu schwärmen, in den du als Studentin vor zehn Jahren mal hoffnungslos verliebt warst? Während ich hier mit gespreizten Beinen vor dir liege und höchstwahrscheinlich Krebs habe?«
Anja machte den Abstrich, allerdings nicht ohne zu sagen: »Konstanze! Du hast doch keinen Krebs!«
»Anja, ich stehe jetzt auf und gehe nach Hause, und morgen mache ich ganz normal die Praxis. Wenn du das Ergebnis hast, rufst du mich an.«
Ich hatte mich bereits aufgerappelt und steckte meine Bluse in die Hose, die mir schon fast von den Hüften rutschte.
»Kauf dir mal neue Klamotten«, meinte Anja lapidar.
»Kannst du mir mal sagen, wann?«
»Es gibt jetzt tolle Angebote bei H&M«, plauderte Anja munter weiter, während sie sich die Hände wusch. »Ich habe dort auch ein paar ganz süße Kleidchen für meine Sophie gekauft und für
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